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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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steckten
neue Wörter, die man so oder so oder ganz anders verstehen konnte. Da war es
natürlich einfacher, ein Glas Wein zu bestellen, obgleich auch dies mitunter
zu einer komplizierten Veranstaltung geriet, weil Wein nicht Wein war und
trocken nicht trocken und selbst noch die Forderung nach einem sauberen Glas
auf unterschiedliche Vorstellungen von Sauberkeit stieß.
    Nun, es war zu dunkel, als daß Tobik den hygienischen
Zustand dieses Glases hätte beurteilen können, und immerhin war es ihm sogar
in der fremden Sprache gelungen, einen roten Wein zu erhalten, der nicht nach
Zuckerwasser schmeckte. Doch jetzt begann auch er langsam zu frieren. Darum
rauchte er zu Ende, drückte seine Zigarette in einer langen, nachdenklichen
Bewegung aus und wechselte hinein in die gut besuchte Wirtsstube.
    Die meisten der Gäste waren Männer, nur an einem der
Tische saß eine Runde Frauen. Sie waren schon etwas betrunken, ihre Körper
bebten, ihre Gesichter glühten, dennoch wirkten sie weder würdelos noch dumpf.
Gut, mitunter war es in der Tat ein Glück, wenn man nicht verstand, was die
Leute sagten. Tobik gab dem Wirt ein Zeichen. Dieser nickte ihm zu und
servierte kurz darauf ein weiteres Glas Wein.
    Tobik saß allein und blieb es auch. Niemand in diesem
Lokal kam auf die Idee, den Fremden stören zu wollen. Er schaute in sein Glas.
Eine kleine Spirale Schaum schwamm auf der Oberfläche. Ähnlich einem
Satellitenbild, das ein drohendes Unwetter veranschaulicht. Doch Tobik ließ
sich nicht einschüchtern und nahm einen Schluck. Während er das tat, brach aus
dem Wirbel der Stimmen und Geräusche ein vertrauter Name hervor, allerdings
gesprochen im Sprachklang der ihm unvertrauten fremden Sprache, eingebettet in
den raschen Vortrag eines Nachrichtensprechers: Stuugaad.
    Tobik sah auf, blickte hinüber zu dem Fernsehgerät, das in
einer Ecke über der Theke montiert war, von Wimpeln einer hiesigen Sportmannschaft
umrahmt. Noch war lediglich der Sprecher zu sehen, aber gleich darauf folgte
ein Bildbericht: Man sah einen Mann auf einem Seil, sah die weite Strecke
zwischen dem hoch aufragenden Mercedesstern und der Spitze jener Pyramide, die
das Planetarium beherbergte. Man sah Polizisten, man sah demonstrierende Massen,
die sich im Park unter dem Seil versammelt hatten. Man sah auch in der Mitte
der Strecke das vom Seil hängende Ein-Mann-Zelt, ein sogenanntes Portaledge,
wie man es üblicherweise benutzt, um in der Felswand zu kampieren. Und
natürlich sah man immer wieder den Mann, der da über das Seil marschierte, hin
und her, den weiten Stab tragend, sah sein Lächeln, das nicht triumphierend
war, sondern milde, aber nicht milde im Stile des Überlegenen, sondern einer
tiefen Zufriedenheit. Freilich erblickte man auch Helikopter, die den Mann
umkreisten, doch auf Distanz blieben.
    Klar, der fremden Sprache wegen konnte Tobik nicht wissen,
wie der Filmbericht kommentiert wurde, aber es schien so, als befinde sich Wolf
Mach noch immer auf dem Seil, jetzt, am Abend des bereits zweiten Tages seiner
Aktion. Ein Sturz oder die Entfernung Machs durch ein schwindelsicheres
Sondereinsatzkommando wäre wohl gefilmt worden. Statt dessen endete der Bericht
damit, daß man zeigte, wie der "Seiltänzer" vor dem Hintergrund einer
auch in Stuttgart sich blutrot verabschiedenden Abendsonne in sein Zelt
kletterte. - Was nun auch immer in der folgenden Nacht mit ihm geschehen würde,
es würde im Schein der Kameras geschehen.
    Hans Tobik war zufrieden. Nicht zuletzt mit sich selbst.
Richtig, er war auf der Flucht. Richtig, er hatte einen Kriminalpolizisten,
einen Kommissar namens Rosenblüt, dessen Gesicht ihm in der Menge aufgefallen
war und an dessen frühere Popularität er sich hatte erinnern können, er hatte
diesen Mann gefesselt und in der unsichtbaren Zone seines Vier-Spiegel-Systems
zurückgelassen. Wobei er immerhin Rosenblüts Wunde ordnungsgemäß versorgt
hatte. Er, Tobik, hatte sich bloß einen kleinen Vorsprung verschaffen wollen.
Als dies geschehen war, hatte er die Polizei angerufen, um sie über Rosenblüts
Aufenthaltsort zu informieren. Aber anscheinend hatte man den Kommissar zu
diesem Zeitpunkt bereits befreit gehabt. - Schon erstaunlich, wie schnell die
Polizei manchmal sein konnte.
    Jedenfalls hatte sich Tobik, nachdem der bewußtlose Rosenblüt
in das "Spiegelkabinett" integriert worden war, daran gemacht, seinen
Computer einzupacken, eine kleine Reisetasche mit dem Nötigsten zu füllen, ein
Foto seiner verstorbenen

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