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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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"ich"
anfingen und mit einem Ausrufezeichen endeten. Diese Leute waren ihm beinahe
ebenso verdächtig wie gewisse Damen. (Es versteht sich übrigens, daß die mit
dem strengen Mund ebenfalls in die Vergißmeinnicht-Gruppe geraten war, so wie
auch Nummer 3 in der Tat später eine Bemerkung über seine Zeit bei Greenpeace
machen sollte. Daß dieser dritte Trainer mit seinem schmalen, nach oben
gerichteten Kopf, den kleinen, scharfen Augen, Augen von der Art jenes
Rasierklingenmundes, jedoch zielsicher als erste die immer noch vor sich hin
bruddelnde Rasierklingenmundträgerin zur Ordnung rief, veranlaßte Tobik
umgehend, ihn mit milderem Blick zu betrachten.)
    Überhaupt strahlte Nummer 3 bei all seinen durchaus klugen
Ausführungen jene kühle Geschäftsmäßigkeit aus, die auch zum Ausdruck bringen
kann, daß einer nicht nur enorm von sich und seinem Tun überzeugt ist, sondern
auch jederzeit hochprofessionelles Arbeiten gewohnt ist und erwartet. - Daß
ein solcher Anspruch an Professionalität einhergehen kann mit einem
irritierend adoleszenten Aussehen, sollte dabei vielleicht weniger überraschend
sein als das Faktum, daß Knabenantlitz halt doch nicht Knabenantlitz ist, daß
also die Buberlvisage eines gestandenen Finanzbürgermeisters trotzdem eine ungleich
größere Katastrophe verheißen kann als das Jungengesicht eines erfahrenen
Was-auch-immer-Schutz-Aktivisten.
    Für Nummer 3, den ehemaligen Greenpeaceler, mochte die
ganze S-21-Geschichte natürlich eine wunderbare Chance sein, nicht einfach nur
mit ein paar Leuten einige Stunden lang ein Maisfeld oder einen Bohrturm zu
besetzen und die Firma Nestle oder sonstwen zu ärgern, sondern einer
möglicherweise historischen Bürgerbewegung den Weg zu weisen. Keine Frage,
dieser so von sich überzeugte wie hochintelligente Mann roch den historischen
Moment, er ahnte die Bedeutung, die aus dieser Sache erwachsen würde. Er
erkannte die Mittelpunkthaftigkeit Stuttgarts. Er sah den Virus, der hier
wirksam wurde. Und sosehr er von sich überzeugt war, war er demütig gegen den
Virus. Er begriff, es hier mit einem Geschenk zu tun zu haben, von wem auch
immer dieses Geschenk stammte, vom lieben Gott, von den diversen Baumgeistern,
die es endlich einmal der Deutschen Bahn und der ganzen deutschen Gesellschaft
zeigen wollten, oder sogar von jenem stets verneinenden Geist, dem es Freude
bereitete, sein eigentliches Element zu konterkarieren und dem Satz "Ich
bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute
schafft" eine ganz neue Bedeutung zu verleihen. - Nun gut, wer kann schon
genau sagen, woher die guten Viren stammen?
    Jedenfalls überraschte es eigentlich nicht, daß bei den
Rollenspielen, die dann noch folgten, dieser dritte Trainer es ausgezeichnet
verstand, den Polizisten zu mimen. So ist es immer, Profis sind sich nahe,
sind sich verwandt, auch wenn sie auf verschiedenen Ufern stehen. Und ein Profi
war dieser Mann ja. Er wußte, was er tat. Da waren sich einige der Teilnehmer
schon weniger sicher. Dennoch wurde es ein perfekter Tag. Die Naiven waren ein
Stück weniger naiv geworden und die Zögerlichen ein Stück weniger zögerlich.
Und es existierten zwei neue Bezugsgruppen, die dazu angehalten wurden, sich
privat zu vereinbaren, E-Mail-Adressen und Telefonnummern auszutauschen, um in
der Folge ein autarkes Gebilde zu formen. Das war nicht unklug: viele kleine
Organismen zu schaffen, die über einen eigenen Blutkreislauf verfügten, dann
jedoch, wenn es zur Sache gehen sollte, sich zu einem ganzen Körper vereinten,
auf daß die verschiedenen Blutkreisläufe ein durchgehendes Netz aus Adern
bilden konnten. Im Idealfall. Bei einem solchen Körper gibt es ja stets
verschiedene Möglichkeiten: Homunkuli, Gliederpuppen, leptosome Erscheinungen,
aber auch, sagen wir mal, eine symbiotische Verbindung von Luke Skywalker und
Ellen Ripley (dazu die Stimmen von Oskar Werner und Julie Christie).
    So war das gedacht, und es war gut gedacht. Allerdings
verweigerten zwei Leute aus der Vergißmeinnicht-Truppe die Bekanntgabe ihrer
Mailadresse und Telefonnummer. Einerseits die Dame mit besagtem Mund, die sich
rasch nach dem Ende des Trainings zurückzog, und andererseits jene Alicia, die
nur stumm zusah, wie Wolf seine Daten auf das herumgereichte Stück Papier
kritzelte. Niemand hätte gewagt, sie aufzufordern, es ihm gleichzutun. Zudem:
Wenn sie ein Paar waren, war es ja auch nicht nötig, zwei Kontakte anzuführen.
    Es war jetzt Abend im Park. Die

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