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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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anrief, wo sie Ray Bradbury zu einem Fototermin traf.
    "Wer ist das eigentlich?" fragte Rosenblüt.
    "Stell dich nicht dumm."
    "Nein, ich weiß es wirklich nicht. Ehrlich."
    "Der Mann, der Fahrenheit 451 geschrieben
hat."
    "Ich dachte, das war der Oskar Werner. Oder der
Truffaut", erklärte Rosenblüt. Schwer zu sagen, ob er das jetzt spaßig
meinte oder nicht. Solche Mißverständnisse geschahen. Nicht wenig Leute etwa
dachten, Pu der Bär sei von Harry Rowohlt verfaßt
worden und Arnold Schwarzenegger sei nicht Österreicher, sondern stamme aus
einer Zukunft, in der schon lange keine Österreicher mehr existierten. Zudem
war es tatsächlich so, daß Rosenblüt fast nur Filme und keine Bücher kannte,
oft schaute, nie las.
    Egal, Aneko ignorierte den Oskar-Werner-Hinweis und
erkundigte sich statt dessen, ob Rosenblüt schon wieder mit dieser Teska Landau
zusammenstecke.
    "Nein, die hab ich woanders hingeschickt", sagte
er, ohne zu sagen, wohin woanders. Er selbst befand sich in einer
vollgestopften Stadtbahn mit S-21-Demonstranten, die jetzt, am frühen
Nachmittag, zur Villa Reitzenstein hochfuhren, dem dreiflügligen Amtssitz ihres
"L'Etat, c'est moi! "-Ministerpräsidenten. Im Grunde war es eine
nette Anekdote, daß der namengebende Gemahl der ursprünglich großbürgerlichen
Bauherrin dieser Anlage, ein Baron von Reitzenstein, dem Glücksspiel verfallen
gewesen war und am Roulettetisch sein Leben beendet hatte, wie diese Maler, die
sterbend gegen das feuchte Bild auf ihrer Staffelei sinken. Nicht wenigen
Bürgern wäre in Kenntnis dieser Roulettegeschichte und auf Grund einer gewissen
Glücksspielmentalität aktueller Landespolitiker dieser luftige Ort hoch über
der Stadt noch passender erschienen, als er das wegen seiner abweisenden,
tresorartigen Wucht ohnehin tat - ein Bau, der sich von der Stadt und den
Leuten wegzudrehen schien.
    Natürlich war Rosenblüt nicht hier oben, um jetzt ebenfalls
zum Demonstranten zu werden. Das fehlte noch. Vielmehr hatte er vorgehabt, den
Adiuncten einen erneuten Besuch abzustatten. Der letzte war ja einige Zeit her,
und er war gerne lästig. Da sich aber das Stammhaus der Burschenschaft nicht
unweit der Villa Reitzenstein befand und Rosenblüt nun mal in den "Bürgerschwarm"
geraten war, ließ er sich von diesem auch treiben, strömte also zusammen mit
der Menge hinaus aus der Stadtbahnlinie 15 und hinein in die
Richard-Wagner-Straße, zum stark bewachten und mit Absperrgittern versehenen
Haupteingang, hinter dem sich ein unangetasteter Nordflügel erstreckte, während
unten in der Stadt der Nordflügel des Bonatz-Scholer-Baus soeben den
Interventionen eines Abrißbaggers zum Opfer fiel.
    Es war ganz eindeutig der falsche Nordflügel, der hier
starb. Und genau darum drängten sich in der schmalen Straße dicht die Leute,
während einer der Aktivisten mittels Megaphon hinüber zu seinem unsichtbaren
Ministerpräsidenten rief.
    "Meine Güte, was ist das für ein Lärm! Wo bist du?"
fragte Aneko.
    "Mitten in einer Demo", antwortete Rosenblüt.
    "Und was tust du da?"
    "Ich führe Kepler aus", sagte Rosenblüt und sah
hinunter zu dem großohrigen, kurzbeinigen Mischlingsrüden, der wieder einmal
brav auf seinem Hintern saß und die Gerüche fremder Hunde ignorierte. Wie auch
sein "Vorgänger" Lauscher (oder war er selbst, Kepler, ein
Wiedergänger?) hatte er es nicht so mit anderen Tieren. Tiere waren ihm fremd,
und Hunde waren ihm peinlich. Gerade dadurch, daß er eine gewisse Ähnlichkeit
zwischen denen und sich erkennen mußte, eine Ähnlichkeit des rein Äußeren, das
freilich seinem Geist und Wesen völlig widersprach. Er sah ja nur so aus. Aber
das tun auch viele Menschen: sie sehen nur so aus.
    Aneko wollte nun wissen, ob Rosenblüt ihr treu sei. "Frau
Landau hat doch sicher ein Auge auf dich geworfen?"
    "Und was ist mit diesem Bradbury?" fragte
Rosenblüt zurück.
    "Der ist gerade neunzig geworden", erklärte
Aneko. Sie mußte wohl einsehen, daß ihr lieber Mann tatsächlich keine Ahnung
von Literatur hatte. Also schickte sie ihm einen Kuß durchs Telefon und beendete
das Gespräch.
    Rosenblüt steckte das Handy weg und lächelte in sich
hinein. Dann schaute er sich um, betrachtete die Leute. Auch er mußte wie jeder
andere Besucher diese erstaunliche Mischung aller Milieus und Altersgruppen
feststellen. Das war schon unheimlich. Während die uniformierten Beamten
hinter der Absperrung so aussahen, wie sie schon immer ausgesehen hatten - auf
eine gepolsterte Weise stramm -

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