Steirerblut
erinnern, versuchte sie sich zu beruhigen. Nach dem Abendessen waren sie in sein Zimmer gegangen, um am Fall Kovacs weiterzuarbeiten. Dass die neuerliche Befragung der Oberhausers zuvor keine neuen Erkenntnisse gebracht hatte, war fast zu erwarten gewesen. Mizzi und Michl versuchten gar nicht erst, sich für den verschwiegenen Streit zwischen Mike und dem Wirt zu rechtfertigen, als sie damit konfrontiert wurden. Es sei ihm nicht weiter erwähnenswert erschienen, meinte Michl beiläufig. Schließlich sei ja auch niemand ernsthaft verletzt worden. Und Mizzi war sich sowieso keiner Schuld bewusst, wo sie doch sogar die Polizei verständigt hatte. Damit hatte sie gar nicht mal so Unrecht, ärgerte sich Sandra einmal mehr über Max’ Versäumnis, sie über den Streit zu informieren. Klar konnte Mizzi ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass die örtliche Polizei mit den Ermittlern aus Graz kooperierte und ihnen kein noch so unwichtig erscheinendes Detail vorenthielt. Geschweige denn einen Polizeieinsatz, für den es nicht einmal ein Protokoll gab. Die neuerlich aufkeimende Wut auf Max und ihr flauer Magen trieben Sandra nun doch aus dem Bett. Eine warme Dusche und ein kalter Guss zum Abschluss würde ihren Kreislauf hoffentlich wieder in Schwung bringen.
Während sie sich anzog, fiel ihr ein, dass Bergmann sie bei der ersten Flasche Rotwein über die Sonderkommission informiert hatte, der sie nunmehr angehörten. Offenbar waren die Kollegen im Wiener Bundeskriminalamt schon länger an jenem Immobilienkorruptionsfall dran, für den auch Eva Kovacs recherchiert hatte. Als Mitglieder dieser SOKO sollten Bergmann und sein Team weiterhin für die Ermittlungen im Mordfall zuständig sein und mit den Wirtschafts- und Finanzexperten des BK in Wien zusammenarbeiten. Montagmorgen würden sie im Grazer Büro Näheres erfahren.
Zum Frühstück gönnte sich Sandra entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten einen großen Espresso und reichlich kaltes Leitungswasser. Danach brach sie in den Wald auf, um ihre Lunge, die gestern einiges an Zigarettenqualm inhalieren hatte müssen, mit frischem Sauerstoff zu füllen. Die kühle Luft an diesem strahlenden Spätsommervormittag war einfach herrlich. Sandra hätte ihren Spaziergang gerne ausgedehnt, wäre am liebsten bis zur Binderalm hinaufgewandert, hätte dort eine Bretteljausn genossen und am Rückweg vielleicht ein paar Eierschwammerln gebrockt. Anschließend wäre sie nach Graz gefahren, wo sie ein entspanntes Wochenende in ihrer kleinen, gemütlichen Wohnung verbracht hätte. Aber nein. Stattdessen musste sie die Mutter besuchen. Warum um alles in der Welt tat sie sich das immer wieder an? Bergmann hatte schon recht: Ihr war wirklich nicht zu helfen. Sandra sog den Duft des Waldes tief ein und dachte an die Theorie ihrer esoterisch orientierten Freundin Sybille, die behauptete, dass man sich die Eltern schon vor der Entstehung des eigenen Lebens selbst aussuchte. Sandra lehnte diese Theorie vehement ab. Hätte man sie vorher gefragt, hätte sie sich sicher für eine ganz andere Mutter entschieden. Aber so stand sie sieben Minuten nach zwölf vor der Haustür der aus ihrer Sicht völlig falschen Frau und klingelte wie immer dreimal.
»Sandra, da bist du ja endlich! Wurde aber auch schon Zeit«, sagte die Mutter und blickte vorwurfsvoll auf ihre Armbanduhr.
»Hallo, Mama«, grüßte Sandra, ohne ihr die Hand zu reichen oder sie gar auf die Wangen zu küssen. Körperliche Zuwendungen waren in der Familie Feichtinger noch nie üblich gewesen, wenn man von den Ohrfeigen einmal absah. »Da riecht’s aber gut. Gibt’s leicht Schweinsbraten?«, überging Sandra den Vorwurf. Die Mutter nickte beleidigt und ging voraus in die Küche, während Sandra die Schuhe auszog und in Gästefilzpantoffeln schlüpfte.
Mein Gott! Was waren schon sieben Minuten? Es ging doch hier nicht um Leben und Tod, sondern um einen dämlichen Schweinsbraten mit Knödel und warmem Krautsalat. Auch wenn dieses Gericht noch so gut schmeckte, war die kleine Verspätung doch keine Tragödie. Sandra atmete den verführerischen Essensduft ein und setzte sich um des lieben Friedens willen schweigend an den Küchentisch.
»Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast. Amen.« Die Mutter bekreuzigte sich, und Sandra antwortete mit einem reflexartigen »Amen«.
Die heiße Erdäpfelsuppe renkte ihren Magen wieder ein, und der Schweinsbraten lenkte sie sogar vom bösartigen Geschwafel der Mutter ab,
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