Steirerblut
versicherte Andrea aus dem Hintergrund.
Wäre ihr die Nachbarin doch bloß am Donnerstagabend begegnet, als sie dringend Hilfe gebraucht hätte, haderte Sandra kurz mit ihrem Schicksal. Die Gangl hätte zumindest die Polizei verständigen und damit vielleicht das Schlimmste verhindern können.
»Mein Gott, Sie Arme«, unterbrach Frau Gangl ihre Gedanken. »Dass ausgerechnet einer hübschen, jungen Person wie Ihnen so etwas passieren muss.« Die Gangl schüttelte den Kopf. »Die Welt ist ungerecht und grauslich.«
»Sie hat aber auch ihre guten Seiten«, tönte es aus dem Hausflur.
Typisch Andrea, dachte Sandra. Immer ein positives Wort auf den Lippen. Genau dafür liebte sie ihre Freundin so sehr.
Frau Gangl seufzte schwer, wünschte Sandra baldige Besserung und schlurfte noch immer kopfschüttelnd davon. Andrea stand in der offenen Aufzugtür, um diese am Schließen zu hindern. »Kommst du, Sandra?«
Kaum hatte sich die Fahrstuhltür geschlossen, kehrten die Bilder der letzten Liftfahrt mit Mike zurück. Und mit ihnen die Angst. Sandras Herz raste. Sie schloss die Augen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Fahrstuhlwand.
»Ist dir schlecht?«, fragte Andrea besorgt.
Sandra reagierte nicht auf die Frage. Ihr Hals war wie zugeschnürt.
»Was ist denn mit dir los?«
Sandra öffnete die Augen und sah die Ziffer Eins über der Fahrstuhltür auf die Zwei springen. Im selben Moment spürte sie ihren Herzschlag aussetzen. Die Drei leuchtete auf. Ihr Herz raste weiter. Der Lift hielt an. Andreas Worte drangen wie aus weiter Ferne an ihre Ohren: »Wir sind da, Sandra. Kannst du allein aussteigen?«
Sandra zitterte. »Nein«, krächzte sie mit starrem Blick.
»Warte einen Augenblick. Ich hol dich gleich hier raus.«
Nachdem sich die Lifttür hinter der Freundin geschlossen hatte, hörte Sandra nur noch das laute Pulsieren des eigenen Bluts in ihren Ohren. Langsam glitt sie mit dem Rücken die Fahrstuhlwand hinab, bis sie schließlich ängstlich auf dem Boden hockte. Als die Tür wieder zur Seite glitt, glaubte Sandra erneut, ihr Herzschlag habe ausgesetzt. Der Gedanke, dass Mike davor stehen könnte, lähmte sie endgültig.
»Sandra! Komm! Gib mir deine Schlüssel.« Andrea kniete sich neben Sandra und nahm ihr den Schlüsselbund ab, den diese krampfhaft umklammerte. Dann hob sie die Blumen und die Tasche vom Boden auf und packte die Freundin bei der Hand.
Sandra ließ sich hochziehen und folgte ihr auf wackeligen Beinen zur Wohnungstür. »Schau bitte nach, ob da wer drin ist«, flüsterte sie, ohne die Hand der Freundin loszulassen.
»Da ist niemand. Mike ist im Gefängnis, und dort wird er auch eine Weile bleiben«, versicherte ihr Andrea.
»Trotzdem, bitte, schau nach.«
Andrea sperrte die Tür auf und rief in den leeren Raum hinein: »Hallo? Ist da jemand? Hallo!« Nichts regte sich. »Siehst du? Alles in Ordnung«. Andrea schubste die Freundin sanft ins Vorzimmer. »Mike ist im Gefängnis«, wiederholte sie.
›Mike ist im Gefängnis . ‹ Der Satz ging wie ein Mantra durch Sandras Kopf. Sie war in Sicherheit. ›Mike ist im Gefängnis . ‹ Er konnte ihr nichts anhaben. Sandra hängte ihre Jacke an die Garderobe und zog die Schuhe aus. ›Mike ist im Gefängnis.‹ Sie zwang sich, das eingetrocknete Blut auf dem Wohnzimmerboden zu ignorieren und klammerte sich noch fester an die Hand der Freundin. Andrea zog sie weiter bis ins Schlafzimmer. Dort half sie ihr, sich auszuziehen und hinzulegen.
»Soll ich einen Arzt rufen?«, fragte Andrea besorgt.
»Nein. Es geht schon wieder. Aber ein Glas Wasser wäre fein. Und bitte, bleib noch eine Weile bei mir«, flehte Sandra.
»Wenn du möchtest, kann ich das ganze Wochenende hierbleiben. Du musst mir nur mit frischer Wäsche aushelfen. Und mit einer Zahnbürste.«
»Im Badezimmerschrank müsste noch eine Reservebürste sein.«
»Gut. Dann hol ich jetzt mal die Taschen vom Gang und bring dir ein Glas Wasser. Danach sehen wir weiter.«
»Lass bitte die Schlafzimmertür offen!«, rief Sandra ihr hinterher. Dann schloss sie die Augen und atmete so tief es ging in den Bauch. ›Mike ist im Gefängnis.‹ Sie konzentrierte sich darauf, die Luft kontrolliert wieder auszuatmen. ›Mike ist im Gefängnis.‹ Sandra zog die Decke über den Kopf. Allmählich beruhigte sie sich wieder. Andrea brachte ihr ein Glas Wasser und stellte es auf dem Nachtkästchen ab. ›Mike ist im Gefängnis.‹ Erschöpft schlief Sandra ein.
Der Suppenduft drang als Erstes in
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