Steirerkind
sagte Astrid Knobloch.
»Im Himmel?«
»Genau, Jakob«, sagte die Mutter und lächelte ihren älteren Sohn an, was dessen Mundwinkel prompt wieder nach oben wandern ließ.
»Und wo ist jetzt deine Pistole?«, fragte er Sandra.
Sandra war noch nicht dazu gekommen, ihre Dienstwaffe aus dem eingeschneiten Wagen zu holen. Dass sie das Schulterholster samt Waffe in ihrer Reisetasche im Kofferraum verwahrte, widersprach streng genommen zwar den Dienstvorschriften, doch war bei diesem Einsatz keine Gefahr im Verzug, sodass sie diese nicht unbedingt mitführen musste. Ertappt suchte sie Bergmanns Blick. Der griff unter sein Sakko, zog die Glock aus dem Holster und hielt sie über den Tisch.
»Ihr dürft die Waffe aber nicht anfassen«, warnte er, »das ist lebensgefährlich.«
»Kann uns die totschießen?«, fragte Jakob.
Bergmann nickte.
»Kommen wir dann auch in den Himmel?«, fragte der Bub weiter.
Die Zusammenhänge hatte der Kleine jedenfalls kapiert, dachte Sandra.
»Wer schlimm ist, kommt in die Hölle«, antwortete die Mutter. »Also hört gefälligst auf die Polizisten.«
»Und auf eure Mutter«, meinte Bergmann und drehte die Waffe zur anderen Seite.
Die Kinder beugten sich nach vorn und betrachteten sie fasziniert.
»Kannst du mal schießen?«, fragte Jakob.
»Hier im Haus? Das geht doch nicht«, sagte Bergmann, »ich könnte jemanden verletzen.«
»Dann draußen!«
Bergmann schüttelte vehement den Kopf. »Eine Waffe ist kein Spielzeug«, sagte er streng und steckte die gesicherte Pistole zurück in seinen Schulterholster. »Außerdem tut es richtig weh, von einer Kugel getroffen zu werden. Und man blutet ganz stark.«
»Bist du schon mal erschossen worden?«, fragte Jonas aufgeregt.
Die Erwachsenen am Tisch lachten. »Ich wurde einmal angeschossen, ja. Als ich noch ein junger Polizist in Wien war«, erklärte Bergmann.
Sandra sah den Chefinspektor erstaunt an. Davon hatte er ihr noch nie etwas erzählt. Allerdings hatte sie ihn auch nicht danach gefragt.
»Echt?«, fragte Jakob. »Sieht man das Loch noch?«
Bergmann grinste.
»Die Wunde ist längst zugeheilt. Aber die Narbe bleibt mir für immer.«
»Cool! Zeig her«, forderte Jakob ihn auf.
»Das geht nicht.«
»Oh ja!«, brüllte Jonas.
»Bitte, bitte …«, bettelte Jakob.
»Tut mir leid, Kinder. Das geht beim besten Willen nicht«, blieb Bergmann hartnäckig.
»Oh ja, oh ja, oh ja …«, kreischte Jonas.
»Schluss jetzt! Sonst scheppert’s«, schritt die Mutter ein, »wir gehen nach oben. Und ihr machts euch gefälligst fürs Bett fertig. Zähneputzen, aber dalli«, sagte sie streng, woraufhin das Protestgeschrei erst richtig einsetzte.
»Muss ich erst den Papa holen?«, drohte Astrid Knobloch, was die Lautstärke der Kinder kurzzeitig drosselte. Lieber ließen sie sich freiwillig von der Mutter in die Wohnung bringen, als vom offenbar strengeren Vater in die Schranken weisen.
Frau Knobloch seufzte und zog kopfschüttelnd mit ihrer putzmunteren Brut ab, nicht ohne sich vorher bei den Ermittlern zu verabschieden.
Sandra riet der Frau, in nächster Zeit auf Verhaltensauffälligkeiten und etwaige Alpträume der Kinder zu achten und gab ihr für alle Fälle ihre Visitenkarte. Wenn es nötig war, würde sie ihr einen spezialisierten Kinderpsychologen nennen, den sie aufsuchen konnten.
Sandra sah den Buben lächelnd nach, bis in der Stube wieder Ruhe eingekehrt war. Offenbar funktionierte diese Familie noch im traditionellen Stil, was sie allemal besser fand, als die fehlende Erziehung jener Eltern, die glaubten, sie wären die besten Freunde ihrer Kinder und müssten ihnen keine Grenzen setzen. Dass der Nachwuchs dann meistens die Umgebung terrorisierte, nahmen solche Eltern oft nicht einmal wahr. Und wenn die Kinder außerhalb der Familie aneckten, waren stets die anderen schuld.
Sandra fragte sich nicht zum ersten Mal, wie ihr Sohn wohl geworden wäre, den sie in der elften Schwangerschaftswoche verloren hatte. Auch er hätte vielleicht Tobias geheißen. Julius hatte diesen Namen ganz oben auf seine Wunschliste gesetzt, und auch ihr hätte er gefallen. Zum zweiten Mal an diesem Abend fühlte Sandra einen Stich in ihrem Herzen.
»Der Bestatter ist noch immer nicht aufgetaucht«, riss Bergmann sie aus ihren Gedanken.
»Wundert dich das?«
Sandra sah zum Fenster hinüber. Selbst, wenn sie aufgestanden wäre, um hinauszusehen, hätte sie durch die Spiegelungen an der Scheibe kaum erkennen können, ob der Schneefall nachgelassen
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