Steirerkind
hatte.
»Willst du nicht mal draußen nachschauen, ob’s noch schneit?«, schlug Bergmann ihr vor.
»Warum immer ich?«, brauste Sandra auf.
»Weil du diejenige bist, die fährt«, meinte Bergmann ruhig.
»Dann rufst du aber jetzt die Wintersberger an!«, fuhr Sandra ihn an und erhob sich. Sie verzichtete darauf, ihren Anorak anzuziehen und verließ verärgert die Gaststube.
Der eisige Wind blies ihr dicke Schneeflocken ins Gesicht. Schneeverwehungen hatten die Straße stellenweise verschluckt. ›Leon‹ hatte ganze Arbeit geleistet. Sandras Lust, jetzt noch die Schneeketten anzulegen und zu versuchen, im Schneckentempo zurück nach Graz zu schleichen, hielt sich in Grenzen.
»Scheiße!«, schimpfte sie und zog die Tür wieder hinter sich zu. Dieses Wetter hatte ihr gerade noch gefehlt.
Bergmann legte gerade sein Handy weg und atmete tief durch, als Sandra an den Tisch zurückkehrte.
»Und? Wie hat Frau Wintersberger die Nachricht aufgenommen?«, fragte sie und ließ sich auf den Sessel plumpsen.
»Ziemlich gefasst. Sie hat mit seinem Tod schon gerechnet. Seitdem er verschwunden ist.«
»Hält sie einen Suizid für möglich?«
»Kann sie sich nicht wirklich vorstellen. Er sei nicht der Typ dafür gewesen, hat sie gemeint. Ich hab ihr gesagt, dass wir auf alle Fälle noch den Obduktionsbefund abwarten. Dann statten wir ihr einen Besuch ab. Können wir jetzt fahren?« Bergmann war auf dem Sprung.
»Ich hoffe, du hast deine Zahnbürste dabei«, stoppte Sandra ihn.
»Nein, hab ich nicht. Wieso? So schlimm da draußen?«
Sandra nickte. »Ich sag es ja nur ungern, aber es ist besser, wir übernachten hier. Laut Wetterbericht soll morgen früh das Schlimmste vorbei sein.« Genervt blies sie die Luft aus.
»Na ja, so schlimm ist es doch auch wieder nicht, die Nacht mit mir zu verbringen, Liebling «, scherzte Bergmann.
Sandra äffte ihn lautlos nach.
»Was hältst du von einem Glas Rotwein?«, fragte er grinsend.
»Na, schön. Warum nicht? Ist ja sowieso schon alles egal.« Sandra befürchtete, dass Julius ein ziemliches Theater machen würde, wenn sie ihm hernach am Telefon verkündete, dass sie erst morgen nach dem Frühstück nach Hause kommen würde. Als ob sie nicht auch lieber die Nacht mit ihm verbracht hätte als mit dem Chefinspektor. Wann hatten sie und Julius eigentlich zuletzt miteinander geschlafen?, überlegte sie. War das vergangene Woche oder die Woche davor gewesen? Es war doch immer wieder dasselbe. War erst einmal der Alltag in ihre Beziehungen eingekehrt, blieb von der anfänglichen Leidenschaft nicht mehr viel übrig. Dabei war Julius ein virtuoser Liebhaber. Ob es an ihr lag, dass der Reiz des Neuen so schnell verflogen war? Nach nur eineinhalb Jahren? Oder daran, dass er seit drei Monaten bei ihr wohnte? Vermutlich war sein Einzug in ihre Wohnung ein Fehler gewesen. Manchmal vermisste sie das Rückzugsgebiet, das sie zuvor stets gehabt hatte.
Während Sandra weiter vor sich hin grübelte, bestellte Bergmann eine Flasche Zweigelt und erkundigte sich bei Katharina Knobloch nach zwei Einzelzimmern.
»Ist bestimmt g’scheiter, heut’ Nacht hier zu bleiben«, gab die Kellnerin ihm recht. »Ich bring Ihnen gleich die Schlüssel und bitte die Astrid, dass sie die Betten überzieht.« Die junge Frau wandte sich ab und ging.
»Hast du eine Zahnbürste dabei?«, riss Bergmann Sandra aus ihren Gedanken an die verkorkste Beziehung mit Julius.
»Wie? Ja, ich hab immer eine Zahnbürste mit. Für alle Fälle.«
»Eine neue?«
Sandra überlegte kurz.
»Ja. Originalverpackt. Warum?«
»Kann ich sie haben?«
»Du willst dir mit mir die Zahnbürste teilen?«
»Um Gottes willen, nein!«, meinte Bergmann entsetzt. »Das würde ich niemals tun«, winkte er ab.
Sandra prüfte ihn mit Blicken. Das war kein Scherz gewesen. Wie es aussah, hatte er das eben todernst gemeint. Was hatte der Mann denn jetzt schon wieder für ein Problem?
»Aber schlafen wolltest du schon mit mir«, erinnerte sie ihn an frühere Zeiten, als er sich eingebildet hatte, in sie verliebt zu sein, was keineswegs auf Gegenseitigkeit beruht hatte.
Bergmann hob die Augenbrauen.
»Wenn du es möchtest, würde ich noch immer …«
»Hör auf damit!«, bremste Sandra ihn ein, als Katharina Knobloch mit der Bestellung zurückkam.
»Bitte schön«, sagte die Kellnerin und stellte Weingläser und Zweigelt-Flasche vor ihnen ab, »hier sind Ihre Zimmerschlüssel. Zimmer Nummer 5 und 6 im ersten Stock. Meldezettel können Sie
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