Steirerkind
Eröffnung der Alpinen Ski-WM herrschte hier ausgelassene Partystimmung. Viele der vorwiegend jungen Fans hatten die Landesflaggen ihrer Heimat auf die Wangen gemalt. Andere trugen Fotomasken mit den Gesichtern ihrer Ski-Idole. Entsprechend bunt mutete auch das Stimmengewirr an. Zwischendrin läuteten die WM-Herzglocken – kleine, grüne Kuhglocken, die ein pfiffiger Designer aus dem Grünen-Herz-Logo der Steiermark kreiert hatte. Schon lange vor dem eigentlichen Event hatten diese Herzglocken, mit denen die WM eingeläutet wurde, als Merchandising-Artikel und – in ihrer virtuellen Form – als Smartphone-App Furore gemacht.
Mit 15 Minuten Verspätung betraten die Ermittler das Foyer des altehrwürdigen Hotels am Hauptplatz.
»Wir suchen Herrn Norbert Bachler«, wandte sich Sandra an die beiden jungen Empfangsdamen an der Rezeption, die in schwarzen Dirndln mit weißen Blusen und giftgrün-türkisfarben-gestreiften Schürzen ihrem Dienst nachgingen.
»Schönen guten Abend«, flötete die eine freundlich, während die andere stumm lächelte, und deutete zu einem Mann, der am hintersten Tisch in der Hotellobby saß.
»Dort drüben auf dem Sofa, das ist Herr Bachler. Der mit dem Laptop. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Soll ich Ihnen einen Kellner vorbeischicken?«, fragte die junge Dame.
»Nein, danke«, lehnte Sandra ab, »aber hätten Sie vielleicht noch zwei Einzelzimmer? Nur für heute Nacht?«
Beide Empfangsdamen sahen sie an, als wäre sie einer geschlossenen Anstalt entsprungen.
»Nein«, fand eines der beiden Dirndln schließlich ihre Sprache wieder. »Wir sind seit über einem Jahr ausgebucht. Wegen der Ski-WM …«
»… die in einer Stunde und 43 Minuten beginnt«, sagte das zweite Dirndl mit Blick auf seine Uhr. »Ich fürchte, da werden Sie in der ganzen Region kein Glück mehr haben.«
»Schon gut. War nur eine Frage.« Wenn auch eine ziemlich naive, musste sich Sandra selbst eingestehen. Sie wandte sich ab und folgte Bergmann. Das Kichern hinter ihrem Rücken galt vermutlich noch immer ihrer Frage.
Der Mittdreißiger unter dem alten, silbergerahmten Ölbild blickte von seinem Laptop auf. Als ihm klar wurde, dass die erwarteten Gesprächspartner vom LKA auf ihn zustrebten, erhob er sich, um sie zu begrüßen.
Seine fahrigen Bewegungen verrieten Sandra, dass Norbert Bachler hochgradig nervös war. Unwillkürlich drängte sich ihr die Frage auf, ob das Haus auf dem Ölbild hinter ihm, auf welches die alte Postkutsche zufuhr, jenes Hotel war, in dem sie den sichtlich gestressten Cheftrainer seit über einer Viertelstunde hatten warten lassen.
»Endlich!«, zog Norbert Bachler ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich und blickte auf seine Breitling. »Ich hab wirklich nicht lange Zeit für Sie.« Er setzte sich wieder und klappte seinen Laptop zu.
»Es dauert bestimmt nicht lange«, versprach Sandra und kam gleich zur Sache. »Erst einmal: Ist das hier Ihre einzige Breitling?«
»Ja, warum? Was hat das denn mit dem Tod von Roman zu tun?«
»Es ist also Ihre einzige, und sie vermissen auch keine weitere Uhr dieser Marke?«
»Nein, ich verstehe nicht …«
»Sie sieht ziemlich neu aus.«
»Ist sie auch. Ein Weihnachtsgeschenk von meiner Frau.«
»Haben Sie diese Uhr hier schon einmal gesehen?« Sandra zeigte ihm das Foto der sichergestellten Breitling auf ihrem Handy.
»Kommt mir irgendwie bekannt vor. Spontan kann ich sie aber niemandem zuordnen. Schon gar nicht dem Roman. Der trug seit Jahren keine Uhren mehr. Er war allergisch.«
»Sie kannten Herrn Wintersberger demnach schon länger. Wie war denn Ihre Beziehung zu ihm? Er war doch Ihr direkter Vorgesetzter, nicht wahr?«, unterbrach Bergmann ihn.
»Ja. Und wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Er war es auch, der mich nach seiner Berufung zum Sportlichen Leiter in den Trainerstab des ÖSV geholt hat. Direkt vom deutschen Damenskiteam.«
»Sie waren sein Nachfolger als Gruppentrainer der Techniker?«
»Genau.«
»Und jetzt sind Sie schon wieder in seine Fußstapfen getreten.«
Norbert Bachler stutzte kurz.
»Nur vorübergehend, bis ein Nachfolger bestellt ist. Ich möchte diesen Job gar nicht. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Und außerdem muss ich jetzt wirklich zur Planai aufbrechen.«
Für Sandra klang das nicht gerade so, als ob Bachler seinen gut zehn Jahre älteren Vorgesetzten verschwinden hatte lassen, um selbst die Karriereleiter hinaufzuklettern. Aber behaupten konnte man schließlich
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