Steirerkind
viel.
»Wenn es Ihnen lieber ist, können wir die Befragung morgen in Graz fortsetzen«, schlug sie vor. Vielleicht würde sie heute doch noch im eigenen Bett schlafen, überlegte sie. Wo es hier ohnehin weit und breit keine Übernachtungsmöglichkeit gab. Im Auto war es viel zu kalt zum Schlafen. Standheizungen waren in den Dienstfahrzeugen des LKA aus Kostengründen nicht vorgesehen. Mehr als die Standardausführung war nicht drin. Außer bei verdeckten Ermittlungen, die mit allen möglichen Fahrzeugen durchgeführt wurden, um den Zielpersonen nicht gleich als ziviler Polizeiwagen aufzufallen. In professionellen Kriminellenkreisen hatte es sich nämlich längst herumgesprochen, dass die Polizei kein Geld für Sonderausstattungen hatte.
»Oh Gott, nein!«, wiegelte Bachler ihren Vorschlag ab. »Ich hab keine Zeit, irgendwohin zu fahren. Nicht während der Ski-WM.«
»Dann sollten Sie uns rasch noch ein paar Fragen beantworten. Also, waren Sie und Roman Wintersberger auch privat befreundet?«, wollte Sandra wissen. »Sie haben an jenem Abend doch miteinander gefeiert, bevor Herr Wintersberger verschwunden ist.«
»Wir waren seit einigen Jahren ganz gut befreundet, ja. Vor Weihnachten waren wir noch einmal im Braugasthaus essen und nachher im Blauen Engel. Ich bin übrigens als Erster wieder aufgebrochen. Kurz nach Mitternacht. Meine Frau kann bezeugen, dass ich gegen halb eins zu Hause war.«
Es war ungewöhnlich, dass jemand die Frage nach seinem Alibi beantwortete, noch bevor ihm diese gestellt worden war, fand Sandra. »Das wissen wir bereits von den Kollegen der Fahndung«, stellte sie klar.
»Was wollen Sie dann von mir wissen?«
Norbert Bachler blickte erneut auf seine Uhr.
»Was für ein Typ war Herr Wintersberger eigentlich?«, fragte Sandra.
»Er war sehr direkt. Manchmal ein wenig unbeherrscht, ein typischer Macher, der stets wusste, was er wollte, und es meistens auch bekam. Und er hatte einen untrüglichen Instinkt für skifahrerische Talente.«
»Herr Bachler, war Herr Wintersberger homosexuell?«, fragte Bergmann ohne Vorwarnung.
»Wie bitte? Wie kommen Sie denn darauf?«
Bachler lachte schallend und zog damit die Aufmerksamkeit der Leute am Nebentisch auf sich.
»War er schwul oder war er es nicht?«, wiederholte Bergmann seine Frage leiser.
»Mich hat er jedenfalls nie angebaggert«, witzelte Bachler, um gleich wieder ernst zu werden, »nein, das ist kompletter Schwachsinn.«
»Und wie war seine Beziehung zu Tobias Autischer?«
»Vertraut, aber stets korrekt. Er war sein Mentor und väterlicher Freund. Früher auch sein Trainer. Tobys Vater ist gestorben, als der Bub sieben Jahre alt war. Bei einem Autounfall. War eine schlimme Geschichte damals. Der Roman hat sich seither intensiv um den Buben gekümmert. Er wusste ja schon seit der Nachwuchsarbeit um sein Ausnahmetalent und hat ihn gefördert. Dass der Toby heute ein Spitzenathlet ist, hat er vor allem dem Roman zu verdanken. Entsprechend schwer hat ihn auch die Todesnachricht getroffen. Ich hoffe, er fängt sich wieder bis zu seinen Rennen nächste Woche. An und für sich ist er momentan in Topform und hätte das Zeug dazu, alle Technikbewerbe zu gewinnen. »
»Tobias Autischer hatte also keinen Grund, Roman Wintersberger zu töten?«, hakte Sandra nach.
»Der Toby? Völlig ausgeschlossen. Wie ich schon sagte, die beiden waren wie Vater und Sohn.«
»Nun, auch in dieser Konstellation sind Mord und Totschlag schon vorgekommen«, meinte Bergmann. »Hatten die beiden denn niemals Streit?«
»Doch, sicher. Sie sind – beziehungsweise waren beide aufbrausende Sturköpfe, die schon mal aneinander gerieten. Toby schlägt manchmal ein wenig über die Stränge, um zu rebellieren. Das hat Roman dann auf die Palme gebracht. Aber soweit ich weiß, gab es nie etwas Gravierendes.«
»Und was war damals mit dieser umstrittenen Geschichte um die Materialreform der FIS? Der Konflikt wurde doch sogar medial ausgefochten.«
Beide Männer sahen Sandra überrascht an. Dass die alte Geschichte in ihrem Gedächtnis präsent war, hatte sie ausschließlich Julius’ Spekulationen nach Wintersbergers Verschwinden zu verdanken.
»Das ist doch Schnee von gestern«, meinte Norbert Bachler, »die Sache war längst vergeben und vergessen.«
Bergmann runzelte die Stirn.
»Welche Sache, bitte?«, fragte er nach.
»Die FIS hat im Sommer 2011 hinter dem Rücken der Athleten und der Skihersteller beschlossen, dass die Weltcuprennski ab der Saison 2012 /
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