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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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wie Tschetin ausgesprochen.«
    »Danke, Herr Doktor. Haben Sie eigentlich Langeweile?«
    »Ja, wenig los in den Nachtstunden, das heißt heute, manchmal aber geht es hier zu wie in einem Taubenschlag. So ist das nun mal beim Schichtbetrieb in einem
    Unfallkrankenhaus.«
    »Entschuldigen Sie, aber ursprünglich wollte ich lediglich wissen, ob mein Freund Cetin…«
    »Dem geht es so weit gut, der kann morgen früh nach Hause.
    Gute Nacht!«
    Da war der Herr Doktor wohl ein wenig verschnupft und wollte mir keine weiteren Auskünfte mehr über den Patienten geben.
    Wütend war ich allerdings auf mich selbst, und zwar deshalb, weil ich außer dem Namen nichts über Cetin wusste. Lebte er mit seiner Familie zusammen? Hatte er Geschwister? Wie alt war er? Wo wohnte er? Nichts! Ich war nur einmal in seinem Viertel gewesen, wo er mit seinen Freunden in einem umgebauten Keller asiatische Kampfsportarten trainierte.
    Nichts wusste ich von ihm – außer dass er seine Gesundheit für mich riskiert hatte.
    Mit den Bildern vor Augen, dass der anrüchige Schopper mit einer Waffe auf Cetin losgegangen war oder ihn mit seinem Wehrmachtskrad angefahren hatte, schlief ich schließlich ein.
    24.
    Cetin sah schrecklich aus. Eine Hand in Gips, den Kopf verbunden, ein Auge war zugeschwollen, die Hälfte eines Schneidezahns abgebrochen, aber sprechen konnte er noch.
    Und wie! Die Zahnlücke störte ihn nicht. Seine Stimme klang leiser als sonst, dafür war das, was er erzählte, schlicht fantastisch.
    »Der Motorradfahrer fuhr noch ein paar Meter ohne Kopf weiter. Ohne Kopf, wenn ich’s doch sage, Mann! Bist du taub, oder was?«
    »Hört sich an wie ein anatolisches Märchen«, warf ich ein.
    »Mann, ich bin in Deutschland geboren, hier in Marxloh, ich kenne nur deutsche Märchen, Gebrüder Grimm. Ja, da rollen auch manchmal die Köpfe, aber dies hier ist wahr, ich schwöre.«
    Heute Morgen in aller Frühe war ich aufgebrochen und auf direktem Wege zu Cetin gefahren. Unterwegs hatte ich immer wieder seine Handynummer gewählt, ihn schließlich auch erreicht und erfahren, wo er wohnte. Ganz brav bei seinen Eltern.
    Jetzt blickte ich mich in seinem Zimmer um. Türkische Kinoplakate, ein Fernsehapparat mit einem Bildschirm in einem Format, wie es kleinere Programmkinos haben, neben seinem Bett standen zwei Computer, ein normaler PC und ein bunter iMac. Ich nahm mir vor, Cetin zu fragen, ob ich mal in meinen elektronischen Postkasten schauen dürfte. Später, jetzt wollte ich erst die komplette Geschichte hören.
    Ich rückte meinen Stuhl näher an das Krankenbett heran.
    »Bitte, noch einmal in Ruhe und von Anfang an.«
    »Also gut, aber nun hör zu«, sagte er. »Ich erzähl es wirklich zum letzten Mal, denn ich will es nicht dauernd wiederholen, mir tun nämlich die Scheißlippen weh!« Er sprach es wie
    »Schei-selippen«.
    Ich nickte, nachsichtig ließ ich ihm den Ton und auch das Du durchgehen, das ich, als der wesentlich Altere von uns beiden, ja eigentlich ihm hätte anbieten müssen. Egal, es war sowieso längst an der Zeit gewesen, dass wir uns duzten. Schließlich hatten wir, auch wenn ich nichts von Cetin wusste, schon so einiges gemeinsam durchgemacht.
    »Also, ab und zu hab ich Schopper aus den Augen verloren, er fuhr wie Sau, schlimmer als ich, und einmal war er sogar für ein paar Minuten weg, das war am Ruhrdeich. Aber ich kenne in dem Gebiet alle Verbindungen und Abkürzungen und deshalb hab ich ihn auch wiedergefunden. Stand an der Monning am Straßenrand, telefonierte und nahm anschließend den Grenzweg zum Duisburger Stadtwald. An der
    Autobahnunterführung hielt er dann an. Ich dachte schon, warum macht er das, da sah ich den anderen Motorradfahrer unter dem Brückenbogen. Ich schätze mal, dass der, nach der Art, wie die beiden mit den Armen fuchtelnd vor der zweiten Maschine standen, eine Panne hatte. Schopper schob sich die Schutzbrille in die Stirn und sagte was, worauf der andere eine dicke Kette um das Hinterrad seiner Maschine legte und sich anschließend auf Schoppers Sozius schwang. Sie sind dann losgefahren, grobe Richtung Großenbaumer Wald.«
    »Haben die beiden dich gesehen?«
    »Natürlich nicht. Ich bin immer in schönem Abstand hinter ihnen hergefahren. Vielleicht war ich sogar zu vorsichtig. Im Wald am Uhlenhorst waren sie plötzlich verschwunden, es gibt da so Wege, die nur von Joggern und Radfahrern benutzt werden und die für Autos gesperrt sind. Zum Glück kenne ich auch dort die Schleichwege und

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