Stelzvogel und Salzleiche
geworden. Ich wollte Sie gerade anrufen und Ihnen von dem Mord erzählen, da gab es einen Schlag gegen den Wagen. Ich kann nicht einmal sagen, was es war. Als ich wieder zu mir komme, steht mein Scorpio mit dem rechten Kotflügel an einem Baum und ruht sich aus, ich selber liege unterm Armaturenbrett. Konnte gerade noch das Zeug, das im Handschuhfach lag, aus dem Fenster werfen. Es dauerte nämlich nur Minuten, da waren die Polypen und ein Rettungswagen da. Ab zum
Unfallkrankenhaus nach Wedau! Die haben mich
durchgecheckt und danach bei mir zu Hause angerufen. Ich hab dann meiner Mutter Ihre Telefonnummer gegeben.« Cetin sah mich an, lächelte. »Was ist los? Hätte schlimmer ausgehen können. Ich meine nicht den Motorradfahrer, ich meine bei mir.«
Ich sah zwischen seinem Unfall und dem Mord an Schopper einen Zusammenhang, sagte aber nur: »War wohl ein Tag der Unfälle.«
Und der Verluste. Cetin hatte einen Schneidezahn verloren –
und ich meinen Hauptverdächtigen.
25.
Da saß ich in meinem bescheidenen Büro mit dem
abgewetzten Teppich und sehnte mich nach der Zeit zurück, als ich Polizist war, auf den Rat von Kollegen hoffen und auf die ganze Maschinerie des Staats zurückgreifen konnte, mit ihren Fahndungsmeldungen und Protokollen, der
Spurensicherung am Tatort, den Polizeifotografen,
Rechtsmedizinern, Labormenschen und mit dem Zugriff auf Dateien in der halben Welt. Jetzt war ich allein und Cetin, mein einziger Helfer, lag mit Prellungen, gebrochenem Finger und weiteren Verletzungen im Bett. Durch meine Schuld! Der Himmel war grau und es nahte das Wochenende. Zwei Tage, in denen ich niemanden an seinem Arbeitsplatz erreichen konnte und die Innenstadt nur von bummelnden Menschen bevölkert war. Beim Rasieren erblickte ich im Spiegel einen Menschen, der drauf und dran war, in einer Welle von Schuldgefühlen und Selbstmitleid zu versinken.
Ich nahm einen Zettel und schrieb: Mach deine Arbeit, so gut du kannst!
Welche Arbeit? Wo anfangen oder weitermachen? Auftrag eins, Auftrag zwei? Schopper war in beide Fälle verstrickt.
Seltsam, doch einen Vorteil hatte das: Eigentlich war es einerlei, wo ich weitermachte.
Anne Mehringer anrufen! Nur, was sollte ich ihr sagen? Dass der Hauptverdächtige mit durchschnittener Kehle in einem stählernen Kühlfach lag, ähnlich wie sein mutmaßliches Opfer Peter Rugen? Dass der Fall damit gelöst war? War er das denn? Oder stand ich am Anfang? War es wie beim Mensch
ärgere-dich-nicht-Spiel: Mogge zurück zum Start!
Mach deine Arbeit, so gut du kannst!
Als Erstes machte ich den Abwasch, einschließlich fettiger Pfannen, danach den Spülstein, dann das Duschbecken. Als ich das Sieb mit den verklumpten Haaren herausnahm, kam mir der Gedanke, Kurt Heisterkamp anzurufen und ihn nach dem Ermittlungsstand in Sachen toter Motorradfahrer zu fragen.
Nach dem zweiten Klingeln legte ich wieder auf. Zu früh, zu hektisch, man darf solche Quellen nur sparsam nutzen!
Also weiter mit der Hausarbeit. Die Treppe putzen, das war wirklich sinnvoll. Das Ende der ehemaligen Zigarrenfabrik, in der sich meine Wohnung befand, war mit den britischen Bombern gekommen, die ihre Last über Duisburg abwarfen.
Dass die Zigarrenproduktion ausgerechnet durch
Zigarrenfreund Churchill lahm gelegt wurde, hatte seinen anekdotischen Reiz. Nach dem Krieg zog im Erdgeschoss ein Drucker ein. Seine antiquierten, aber unverwüstlichen Maschinen arbeiteten dort noch, als ich vor Jahren in der Etage darüber mein Büro einrichtete; und weil die Maschinen dermaßen laut arbeiteten, war die Miete nicht hoch gewesen.
Dann, von einem Tag auf den anderen, wurde es still unter mir.
Weil Verbrecher, die es eigentlich auf mich abgesehen hatten, dem Drucker die Arme durch die Walzen seiner eigenen Presse gemangelt hatten. Ein Anblick, der mich immer noch verfolgte. Später zogen smarte Jungs ein, die glaubten, mit einem Computer und zwei Telefonen den Neuen Markt
erobern zu können. Mit dem Niedergang desselben kam auch das Ende dieser Firma.
Aus und vorbei die Zeit, da im Erdgeschoss gedruckt, gefoltert und am Telefon betrogen worden war. Seit einigen Monaten wurde nur noch getanzt. La Movida – Tanztherapie, stand auf einem bronzenen Türschild. Ab und zu begegneten mir im Treppenhaus Frauen mittleren Alters mit recht verhärmt wirkenden Gesichtern; da musste noch eine Menge getanzt werden, um Körper und Seele zum Blühen zu bringen.
Zweimal in der Woche, am Dienstag und Donnerstag, kamen Kinder zu
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