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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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Tortilla und legte mich ins Bett; Kräfte sammeln für den kommenden Tag.
    Am anderen Morgen machte ich mich auf den Weg zum
    Polizeipräsidium, einem wuchtigen Backsteinbau an der Düsseldorfer Straße.
    Tepass’ Büro lag am Ende eines langen Flurs, der vom Licht der Neonröhren an der Decke kühl erhellt wurde. Die Zimmertüren auf beiden Seiten waren geschlossen, doch ich wusste, wie es in den Räumen aussah. Männer, vereinzelt auch Frauen, die vor Computern saßen oder auf die Wände mit Fahndungsplakaten blickten. Auch wenn sie die
    Aktenschränke mit Urlaubslandschaften und die Arbeitstische mit Familienfotos geschmückt hatten, egal, es war eine triste Atmosphäre.
    Türen auf, Türen zu. Beamte mit Kaffeebechern in der Hand, die unbedingt eine Pause brauchten, weil der Dealer, den sie seit einer Stunde verhörten, seine Ladung geschluckt hatte und beharrlich schwieg; weil sie wussten, dass der Mann, den sie schon ein Dutzend Mal festgenommen hatten, in einer Stunde wieder draußen sein würde, auf dem Weg zu seinem
    Matratzenlager in einem Abbruchhaus oder auf der Pirsch zu einem Schulhof in der Innenstadt.
    Türen auf, Türen zu. Besucher, deren Gesichter verängstigt oder trotzig, eingeschüchtert oder aufsässig, herausfordernd oder devot wirkten – nur lachen sah ich niemanden. Warum auch? Zwei Uniformierte hatten einen Jugendlichen mit Baseballkappe in ihre Mitte genommen. »Pfoten weg, kann allein laufen!« Als er noch »Scheißbullen!« anhängte, trat ihm einer der Beamten auf die Turnschuhe, aus Versehen natürlich.
    Ein Mütterchen irrte über den Gang. Ganz fest hielt die alte Dame ihre Handtasche aus Krokoleder an die Brust gepresst, als sei die Gefahr, dass jemand ihr das gute Stück entreißen könnte, hier am größten.
    Drinnen summten die Telefone, draußen heulte die Sirene eines Einsatzwagens. Nichts hatte sich in den Jahren seit meinem Abgang geändert, ein neuer Anstrich der Zimmer, na ja, und dass ich jetzt auf der anderen Seite des Schreibtisches stand.
    Hauptkommissar Tepass blickte von seinen Unterlagen hoch.
    »Setzen Sie sich!«
    Er hatte blondes Haar mit einem Stich ins Rötliche, sein rostbrauner Schnauzbart wies schon graue Stellen auf; seine Zeit lief. Ich schätzte, dass Tepass für sein Selbstbewusstsein und für seine Karriere dringend ein paar spektakuläre, schnell gelöste Fälle benötigte, sonst würde er vor seiner erhofften Beförderung zum Dienststellenleiter ein alter Mann sein.
    In einem Fall war er vor einiger Zeit seinem Ziel schon recht nahe gewesen, der Verdächtige saß bereits in
    Untersuchungshaft, doch dann hatte ich einen
    Entlastungszeugen aufgetrieben – der Beginn einer
    andauernden Feindschaft.
    »Sie sind in das Haus dieser Frau…«, sein Blick auf die Aktennotiz war reine Schau, denn sicher hatte er sich gut vorbereitet, »also in die Wohnung von Frau Irene Gorgas eingedrungen. Man könnte von Hausfriedensbruch sprechen.«
    »Oder auch von Gefahr im Verzug.«
    »Was aber«, er hob den Zeigefinger, »nur für Polizisten und nicht für Zivilpersonen gilt, Herr Privatdetektiv.«
    »Dann war’s eben Nothilfe.«
    »Was Sie nicht sagen.«
    Ich erzählte ihm, dass ich im Auftrag eines Klienten das Haus von Irene Gorgas beobachtet hätte.
    »Ja, und?«
    »Plötzlich hörte ich von drinnen Schreie. Es klang, als ob jemand bestialisch abgestochen würde. Ich hatte noch diesen Bericht von dem ermordeten Motorradfahrer im Kopf; von einer Sekunde zur anderen musste ich mich entscheiden. Also bin ich rein.«
    »Und dann? Leiche gefunden?«
    »Es war der Fernsehapparat, der auf vollen Touren lief, Frau Gorgas muss ihn wohl angelassen haben.«
    »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
    »In manchen Ratgebersendungen wird das empfohlen, um vorzutäuschen, dass jemand im Haus ist. Das ist genauso ein Tipp wie der, das Licht brennen zu lassen, wenn man in Urlaub fährt, oder ein zweites Klingelschild an der Haustür anzubringen – für Leute, die allein wohnen.«
    »Die Geschichte ist erfunden. Damit kommen Sie nicht durch.« Tepass verzog den Mund, sollte wohl ein überlegenes Lächeln sein.
    »Erfunden? Die Sache mit den Schreien aus dem
    Fernsehapparat? Schön wär’s! Ihr Kollege, Hauptkommissar Kurt Heisterkamp, hat mir von einem solchen Fall erzählt. Mit dem einzigen Unterschied, dass es die Polizei war, die in die Wohnung eines schwerhörigen alten Mannes eingedrungen ist, der vor der laufenden Flimmerkiste saß und schlief, bis er von dem

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