Sten 6 - Morituri-Die Todgeweihten
sein lockiges Haar und den weichen Mund sah, waren sämtliche Bedenken wie weggeblasen.
Lieutenant Skinner kramte ihre Wahlkarte heraus und stellte sich hinten in der Schlange an.
Was war schon dabei? Also gab auch sie ihre Stimme Walsh.
In den Cairenes, insbesondere auf Dusable, herrschte ein verrücktes mechanisches Gesetz, das zu jeder Wahlperiode Zuschlug. Die Wahlen waren erst dann abgeschlossen, wenn der Hauptcomputer durchdrehte und abstürzte. So blieb es dann die halbe Nacht, während ganze Teams sündhaft teurer Techs herbeigeschafft wurden, sich mit seinem Innenleben auseinandersetzten und über bitterem Kaff die Köpfe schüttelten.
Nach geraumer Zeit stießen die Techs dann ihr Siegesgeschrei aus, der Computer sprang wieder an, zählte die Stimmen korrekt bis zum Ende und spuckte das Ergebnis aus.
Bei diesem letzten Akt hatte es nie eine Überraschung gegeben. Yelad gewann immer.
Der Tyrenne rannte mit seinen besten Helfern in seinem gähnend leeren Büro hin und her. Trotz der Alpträume, die ihn den ganzen Tag und die halbe Nacht über verfolgt hatten, war er einigermaßen guter Stimmung, wobei bestimmt die beträchtliche Menge Alkohol, die er intus hatte, ihr Teil betrug.
Zusätzlich half die Tatsache, daß das mechanische Gesetz von Dusable exakt zum richtigen Zeitpunkt zuschlug. Gerettet durch einen Computerabsturz!
Yelad schnaubte, nahm einen Schluck aus der Flasche und raunzte den Chef seiner
Wahllistenführer an. Der Bildschirm auf Yelads Schreibtisch leuchtete auf. Jetzt würde er es gleich wissen.
Eigentlich müßte jetzt - verdammt noch mal, es hatte immer so funktioniert! - die eigentliche Auszählung beginnen. Der zusammengebrochene Computer würde wieder in Aktion treten und als erstes die Feindbezirke anzeigen. Damit kannte Yelad die Stärke des Feindes. Dann würde er seine eigenen Stimmen auszählen lassen, und den Sieg jeweils durch die Millionen Stimmen aus dem Friedhof ausbauen, die er bis dahin in der Hinterhand behielt.
Er mußte dabei sehr vorsichtig vorgehen. Wenn er gar zu offensichtlich betrog, verdarben ihm aggressive Nachfragen das erste Jahr der neuen Amtsperiode. Diesmal jedoch warf Yelad sämtliche Bedenken über Bord. Walshs Taktik verlangte nach Rache. Er würde den kleinen Saukerl unter einem Erdrutsch von historischen Ausmaßen begraben.
Als er seinen Wahllistenführer aufstöhnen hörte, sprang Yelad aus dem Sessel. Was war denn jetzt schon wieder?
Walshs Stimmen wurden durchgegeben. Besser gesagt: sie fluteten herein. In einem Bezirk nach dem anderen trug er einen berauschenden Sieg davon!
Eine halbe Stunde später war Yelad plötzlich wieder nüchtern. Er steckte tief im Dreck. Walshs Marge lag so hoch, daß Yelad jeden einzelnen seiner Toten aus den Registern in die Waagschale werfen mußte. Er stärkte sich für diese Aufgabe, indem er die halbe Flasche austrank. Sehr gut! Er würde jetzt schon tun, was notwendig war. Egal, was auch passierte, er war der alte und der neue Tyrenne!
Ungeduldig befahl er seinem Wahllistenleiter, mit der Auszählung der Bezirke zu beginnen. In Erwartung einer langen Nacht lehnte er sich zurück.
Die Nacht gestaltete sich sehr kurz. Eine Stunde später schon dämmerte ihm die schreckliche Wahrheit.
Yelads Stimmenanteil war nahezu verschwindend gering.
Erst viel später kam er darauf. Jemand hatte am Computer gedreht. Immer wenn irgendwo auf Dusable einer seiner treuen Wähler auf den Knopf drückte, wurde seine Stimme als Stimme für Walsh gewertet. Das offizielle Ergebnis wies ihm kaum mehr als eine halbe Million Stimmen zu.
In dieser Nacht konnten die Toten von Dusable unbehelligt in ihren Gräbern ruhen.
Yelad hatte verloren.
Von Stund an haftete ihm der ironische Beinamen
"Erdrutsch-Yelad" an.
Raschid nahm nicht an der Siegesfeier von Walsh und Kenna teil. Statt dessen traf er sich insgeheim mit Solon Kenna in dessen Büro. Die Zeit war reif, den Preis festzusetzen.
Der Gedanke war ihm gekommen, während er den Ausgang der Wahl an der Livie-Box verfolgt hatte. Sofort hatte ihn ein überwältigendes Gefühl der Dringlichkeit überfallen. Er mußte handeln.
Rasch.
Als er zu seinem in aller Eile einberufenen Treffen mit Kenna eilte, begannen die dichten Wolken, die die ganze Zeit über in seinem Kopf gebrodelt hatten, sich allmählich zu lichten.
Er hatte den letzten Test bestanden.
Kenna war erleichtert, als Raschid ihm mitteilte, was er verlangte: ein schnelles Schiff, vollbeladen mit soviel AM2 wie
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