Sten 6 - Morituri-Die Todgeweihten
seinen Sitz weit draußen, auf einer fernen Welt am Rande des Nirgendwo hatte. Rosemont hatte einen Erben, der an seinem Grundbesitz interessiert war. Braun wußte, daß Rosemont rechtlich noch nicht für tot erklärt worden war, aber der Erbe war davon überzeugt, daß Rosemont das Opfer unsauberer Machenschaften sei, und kein Betrüger, der sich mit der Beute aus dem Staub gemacht hatte. Braun wiederum war davon überzeugt, daß der Erbe, ein wohlhabender Mann, drogenabhängig war. Aber ein Fall war eben ein Fall. Außerdem, so erzählte er dem Mann arglos, der ihm sein 60-Tage-Visum
ausstellte, bot sich ihm auf diese Weise die Gelegenheit, endlich einmal die Erstwelt zu besuchen, das Zentrum aller Aktivitäten, den glanzvollsten Planeten des Universums.
"Sie haben zu viele Livies gesehen, Sr. Braun.
Oder Sie sind ein Geschichtsfreak. Die Erstwelt ist nicht mehr das, was sie einmal war, und sie entfernt sich mit jedem Tag weiter davon."
Der Beamte warf einen hastigen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, daß niemand diesen Kommentar gehört hatte. Sten fiel dieser Blick sofort auf. Es überraschte ihn nicht, daß man nirgendwo vor dem Geheimdienst des Kabinetts sicher sein konnte.
Sten bemerkte sie überall: Straßenkehrer, die nicht fegten, sondern Passanten beobachteten; unfähige Kellner mit unverhältnismäßig großen Ohren; Verkäufer, die nichts verkauften, sondern nur zuhörten, Blockwarte; Pförtner, die viel mehr Fragen, stellten als nötig. Alles
Sicherheitsmaßnahmen des Privatkabinetts gegen eine Bedrohung, die zum größten Teil erfunden war.
Diese Sicherheitsmaßnahmen waren teuer, und das Kabinett bezahlte alle seine Informanten mit Geld, das es eigentlich gar nicht hatte.
Sten wunderte sich wieder einmal über die seltsame Neigung allzu vieler Menschen, ihre Nachbarn aus irgendwelchen Gründen zu bespitzeln.
Niemand machte sich Gedanken über das, was sich zweifellos abspielen würde, wenn - nicht falls das Privatkabinett stürzte. Sten erinnerte sich an die Aufstände auf Heath am Ende der Tahn-Kriege. Der Mob hatte nicht nur alle Uniformierten in Stücke gerissen, sondern auch an der Amateur-Gestapo der Tahn Rache genommen.
Sten fühlte kein Mitleid. Er wollte nichts weiter, als daß seine Deckidentität so lange intakt blieb, bis er sich umgesehen und gefunden hatte, was er suchte, und er so schnell wie möglich zurückkehren konnte.
Er traf jedoch eine Vorsichtsmaßnahme. Die derzeitigen Herrscher wußten nicht über alles Bescheid. Mahoney hatte ihm einige sichere Verstecke auf der Erstwelt genannt, die es wahrscheinlich immer noch gab. Eines davon existierte tatsächlich noch. Sten brachte eine Ladung falscher Dokumente dorthin und ließ sie da.
Er spielte weiter seine Rolle als Braun. Er fand ein billiges Hotel, fand den Besitzer des Lagerhauses und machte Aufnahmen der drei Wracks. Er führte Gespräche mit Rosemonts Investoren und seinen Bekannten. Er ging zum Betrugsdezernat. Sie gewährten ihm Einsicht in ihre Unterlagen und verschafften ihm eine Besucher-ID.
In einem Zeitraum von mehreren Tagen zeigte sich Braun zuerst erstaunt und äußerte anschließend seinen Verdacht. Inzwischen glaubte auch er fast daran, daß der Erbe recht hatte. Irgend etwas war mit diesem Mann passiert. Er hatte einige ziemlich unappetitliche Bekanntschaften in den finsteren Vierteln der Stadt gemacht. Vielleicht Mord. Oder Selbstmord? Rosemont, so sagte Braun, habe kürz vor seinem Verschwinden erst einen sehr
deprimierten und dann einen sehr gutgelaunten Eindruck gemacht. "Er hat plötzlich einen Ausweg gefunden", sagte ein Betrugsexperte, aber er gab Braun dennoch die Namen einiger Kollegen im Morddezernat.
Schüchtern fragte er um Erlaubnis, mit dem Chef des Dezernats sprechen zu dürfen. "Du spinnst doch, du verschwendest bloß deine Zeit, und ihre auch.
Aber es gehört zu ihrem Stil, daß sie mit jedem spricht. Ganz egal, wie abgedreht."
Braun sagte, es sei ihm natürlich klar, daß Chief Haines sehr beschäftigt sei, besonders jetzt, wo es überall drunter und drüber gehe. Deswegen habe er eine Zusammenfassung seiner
Untersuchungsergebnisse vorbereitet und eine Liste mit Fragen. Er befestigte eine Kopie seiner Besucher-ID an dem Fiche, woraufhin es
weitergeleitet wurde.
Sten fühlte sich wie der letzte Dreck. Er bereitete sich innerlich darauf vor, daß er eine Freundin und frühere Geliebte ausnutzen mußte -
ja, sie
womöglich sogar in Gefahr brachte.
Schon oft
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