Sten 6 - Morituri-Die Todgeweihten
irgendwann einmal einen freien Augenblick haben sollten", fuhr sie fort, "so wäre ich hocherfreut, wenn Sie davon ein Stückchen abzwacken könnten. Ich habe Ihnen viele Fragen zu stellen. Jeder Kämpfer würde sich gerne mit Ihnen unterhalten. Vielleicht finden Sie ein wenig Zeit für mich, auch wenn ich Sie wahrscheinlich langweilen werde."
Dann setzte sie ihr schönstes Lächeln auf. Es war alles andere als aufdringlich. Es war eines der Lächeln, die ein ganzes Zimmer erleuchten. Man mußte nicht allzu genau hinsehen, damit einem auffiel, daß es auch alle möglichen anderen Einladungen beinhaltete.
Sten hätte ein toter Mann sein müssen, um nicht mitzukriegen, daß diese junge Dame ihn für höchst attraktiv hielt und sehr gerne das Kopfkissen mit ihm geteilt hätte. Diesmal lachte er nicht. Er dankte ihr erneut und erkundigte sich nach ihrem Namen.
Er versprach, daß er ihn nicht vergessen und sich sehr gerne mit ihr in Verbindung setzen würde - falls es seine Zeit erlaubte. An dieser Stelle schenkte er ihr noch ein kurzes trauriges Lächeln. Eigentlich wollte er noch hinzufügen, daß er dafür
selbstverständlich nie Zeit finden würde, doch ... na ja ...
Erst dann setzte er seine Begrüßungsparade fort.
Bis er an seinem Tisch angelangt war, hatte er sie fast vergessen - aber nicht ganz. Sie war zwar noch sehr jung und naiv, doch Sten war auch nicht aus Eis. Er fühlte sich geschmeichelt. Auf dem Weg zum Tisch kamen ihm seine Schritte ein bißchen leichter vor.
Cind sah ihm nach. Was sie betraf, war ihr Zusammentreffen hervorragend verlaufen. Sie freute sich so sehr, daß sie sich am liebsten selbst umarmt hätte. Sie fand, daß Sten aus der Nähe sogar noch attraktiver wirkte. Mission erfüllt. Einladung losgeworden. Einladung angenommen.
Jetzt lag es an ihr, daß Sten auch die Zeit dazu fand.
Sten warf sich im Schlaf hin und her, und die dünne Decke schlang sich um seine Beine. Er war wieder auf Vulcan, ein siebzehnjähriger Delinq, der sich vor den Wachmännern von Baron Thoresen verstecken mußte. Sten hatte Zuflucht bei Oron gefunden, dem König der Delinqs und dem einzigen Wesen, das eine Gehirnlöschung überlebt hatte. Er war müde vom ewigen Davonlaufen. Sten spürte, wie sich ein schlanker Körper neben ihm auf die Matratze schob. Es war Bet. Auch sie war siebzehn.
Nackt und wunderschön. Sie wollte ihn. Sie war so wunderschön. So zärtlich.
Er kämpfte sich keuchend aus den Tiefen des Traums empor und fand eine willige, sich windende Gestalt in seinen Armen. Was zum ... ? Sanft schob er die Frau von sich weg. Das war mit Sicherheit nicht Bet! Aber auch sie war sehr zärtlich. Die junge Frau stöhnte und klammerte sich wieder an ihn. Fast hätte sich Sten darauf eingelassen. Er war noch immer in dem Traum verloren, der so wirklich gewesen war, daß er kaum Widerstand aufbringen konnte.
Plötzlich dachte er: wer ist diese Frau überhaupt?
Mmmm. Noch mehr Küsse und so weiter. Dann erinnerte er sich an die ernsthafte junge Dame beim Empfang. Wie hieß sie noch gleich? Cind. Großer Gott! Vorsichtig, Herr Admiral! Das ist keine Lady für eine Nacht. Wenn er mit ihr ins Bett ging, dann war er für sie verantwortlich. Mmmmm. Mehr dergleichen. Mehr Küsse. Ja, aber ... Hör schon auf mit deinem ewigen "aber", du Blödmann! Hier geht's ernsthaft zur Sache. Wie würde es dir gefallen, jemanden wie sie auf dem Gewissen zu haben? Ahhhh ... hör schon auf. Was kann schon ein bißchen ...
Sten schob Cind wieder von sich. Sie wollte dagegen protestieren, doch er legte ihr zärtlich die Hand auf den Mund. Er versuchte ihr klarzumachen, daß er diese Sache nicht für eine gute Idee hielt, daß er sich geschmeichelt fühlte und alles, und daß er sie für die wundervollste Frau in der Kategorie Mensch im gesamten Imperium hielt, daß er sich jedoch überhaupt nicht in der Lage sah, eine wie auch immer geartete Beziehung einzugehen. Deshalb wünschte er, obwohl er diesen Moment wohl den Rest seines Lebens bedauern würde, daß Cind bitte, bitte jetzt ihre Kleider nahm und verschwand.
Es dauerte eine Weile, doch dann tat Cind, was er verlangte. Kaum war sie draußen, schlug Sten mit den Fäusten auf sein Kopfkissen ein, bis es keinen Widerstand mehr leistete. Er fand in dieser Nacht keinen Schlaf mehr. Doch wenigstens waren diesmal nicht Alpträume von einer in den Sand gesetzten Mission daran schuld.
Was Cind anging: sie war natürlich sehr verletzt.
Doch sie war noch verliebter als vorher.
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