Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
»indignatio« bei Spinoza aufmerksam gemacht.) Empörung als solche sei noch kein Zeichen von Klarsicht. Hessel nimmt seinen erfolgreichen Begriff also ein wenig zurück.
Nun könnte man natürlich fragen, warum es diese Pflicht zur Einmischung überhaupt geben soll, warum man die Welt eigentlich verändern muss. Könnte man nicht genauso den Quietismus befürworten, die Zurückhaltung, die Nichteinmischung, die reine Betrachtung? Führt denn nicht mancher Verbesserungsversuch zum noch Schlimmeren? Interessanter als der historisch-politische Einwand ist hier die persönliche Deutung.
War Enthaltung nicht die Methode seines Vaters, des Flaneurs Franz Hessel? Hatte der nicht geschrieben, Stelldichein sei besser als Einstellung? Hat man Franz nicht ironisch mit Buddha verglichen? Dem Buddhismus kann auch Hessel in diesem Buch viele gute Seiten abgewinnen, vor allem weil er kein Monotheismus ist. (Aber ein Aktivismus ister gerade auch nicht.) Vielleicht muss man Stéphanes Lob der Empörung als sehr späte Revolte gegen den Vater sehen, dessen reine Weltbetrachtung er ablehnt – auch weil er selbst bis 1940 alles andere als ein Kämpfer war, sondern ein Pazifist und ein Hedonist. Erst auf dem Umweg über den bewaffneten Kampf (nach 1940) sei er zu einem Befürworter der Friedensdiplomatie geworden, führt er im Buch aus, im Rahmen der Vereinten Nationen und von deren historischer Mission.
Es gibt aber auch einen positiven Bezug auf den Vater: Immer wieder verweist Stéphane auf die griechischen Götter, deren Vielfalt, Neben- und Gegeneinander er als Harmonieversprechen deutet. Man müsse alle Götter ehren, was heiße, alle Triebe und Möglichkeiten beachten, die im Menschen angelegt seien, Spiel und Arbeit und Denken und Liebe und Handeln und Dichten … Die Vielfalt der Transzendenzen sei wichtig, auf allen Ebenen des Menschenmöglichen. Man hat zuweilen den Eindruck, Stéphane Hessel lebt im Mythos.
Er ist auf jeden Fall gegen das Vergessen der Herkunft, auch gegen die Tabula rasa der Marxisten: Die moderne Welt könne nicht das völlige Abstreifen und die Negierung der Vergangenheit bedeuten, das würde zur Entwurzelung führen. Die marxistische Vision der Geschichte sei eine Sackgasse.
Stéphane Hessel beansprucht, ganz in der Gegenwart zu leben und deren Konflikte aufzugreifen. Und selbst wenn er Partei ergreift, tut er es in der Hoffnung, den Ausgleich zu beschleunigen. »Ich glaube fest an die Idee eines höheren Interesses der Menschheit und daran, dass es einen Sinn für das gibt, was im globalen Maßstab das Gute ist. Um dieses muss sich der Korpus der universellen Werte bilden.« Man müsse eine bisher nicht da gewesene Koexistenz der Menschheit denken. Dieses Wort sei keine Abstraktion mehr.
An die Demokratie hat er hohe Anforderungen, ist mit der Art der politischen Willensbildung und der bisherigen Form der Legitimation nicht einverstanden. Es gebe imperiale, wenn nicht gar imperialistische Formen der Demokratie, etwa in den USA und in Israel. Die beiden Staaten kommen bei ihm am schlechtesten weg.
Zu Israel sagt er in dem Buch vergleichsweise wenig, aber doch Deutliches. Er wirft den israelischen Politikern eine absolutistische und theologische Lesart der Geschichte vor. Man respektiere dort nicht das Völkerrecht, obwohl doch der Staat eine Kreation der UNO sei. Man müsse Israel zwingen, zur Realität zurückzukehren und sich auf das allgemeine internationale Recht zu beziehen und nicht auf ein Geschichts- und Rechtsverständnis, das nur für dieses Land allein gelte. Andererseits hätten die Palästinenser auf das Phantasma der Rückkehr aller Flüchtlinge zu verzichten. Überhaupt müssten alle Staaten lernen, sich zu beschränken. Allein eine solche Selbstlimitierung könne den Frieden sichern. Was die Methoden angehe, so müsse man unterscheiden zwischen Pazifismus und Gewaltlosigkeit. Und in manchen Situationen gelte es eben zu kämpfen.
Kritiker werden einwenden, dass es doch über Russland und China auch einiges anzumerken gebe, was Hessel aber nicht tut. Auch lobt er den Dalai-Lama, ohne etwas zur chinesischen Tibetpolitik zu sagen. Gleichwohl hat er sich auch zu Problemen in anderen Ländern geäußert. So erschien im Mai 2011, weniger beachtet als seine anderen Broschüren, im Verlag Don Quichotte ein Buch von 183 Seiten über die Lage in Birma (offiziell Myanmar genannt) unter dem Titel
Résistance. Pour une Birmanie libre
. Als Herausgeber zeichneten Stéphane Hessel sowie
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