Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Aung San Suu Kyi. Erst Ende 2010 war die birmanische Friedensnobelpreisträgerin von 1991 von der Militärjunta ihres Landes, die 1962 durch einen Putsch an die Macht gekommen war, aus jahrelangem Hausarrest entlassen worden. Hessel erklärtesich im Namen seiner Erfahrung völlig solidarisch mit dem Kampf um die Demokratie in Birma. Auch in diesem Land gelte, dass die Menschenrechte universell seien. Das Land benötige Unterstützung von außen. Gerade weil »die Dame von Rangun« für einen gewaltlosen Kampf eintrete, verdiene sie Solidarität. Der Text mit Informationen zur Lage im Land wurde verantwortet von der Vereinigung Info-Birmanie, die von Frankreich aus den Kampf um die Demokratie in der Heimat führt.
Über der Politik und den Menschenrechtsaktivitäten, über dem Begriff der Empörung und über der Frage Israel sind die persönlichen Dinge nicht vergessen. Wichtig ist Hessel, dass man das Erlebte, die Aktion und die Meditation nicht voneinander trennen könne. Und er wird nicht müde, das Lob der Poesie zu singen. Verse aufzusagen sei wie das Spielen auf einem wertvollen Instrument, es öffne den anderen, mache ihn durchlässig, es komme dabei jedoch auf die Art des Rezitierens an. Zwischen den Kapiteln des Buches steht eine Anthologie von Gedichten, zumeist deutsche in französischer Fassung.
Hessel nennt immer wieder bedeutende Denker, auch Hegel, Marx, Marcuse, Merleau-Ponty, Illich, Gorz, Sloterdijk, aber das bleibt etwas äußerlich, wie um sich abzusichern. Auch widersteht er nicht immer der Versuchung des Namedroppings. Und der Bezug auf Sartre, wohl im Namen des Engagements (»ich verstehe mich ein wenig in der Nachfolge von Sartre«), ist verständlich, aber in der Sache nicht nachzuvollziehen. Inhaltlich gilt es nicht, höchstens in der Attitüde, und auch da nur in Maßen. Begriffe wie
espérance
sind völlig unsartrisch, auch eine bestimmte Art, über Identität und Herkunft zu reden. Hessel ist kein Existentialist im sartrischen Sinne.
Wie realisiert man Hessels großen Traum von der versöhnten Weltgesellschaft, dem Ausgleich der Menschen untereinander und mit der Natur? Kann man durch reine Willensakte, durch puren Beschluss eine andere Form der Politik und der Weltordnung herbeiführen, nach eher moralischen Aspekten? Kann man die mächtigen Interessen der Finanzwelt, der Rüstungsindustrie, der Ausbeutung der Ressourcen beschränken? Kommen Umgestaltungen nicht immer nur nach schweren Krisen und großen Katastrophen zustande (die niemand wollen kann)?
Darauf würde Hessel antworten, dass man an das menschliche Potential glauben müsse. Er sei Optimist im Sinne von Hegel: Die Freiheit in der Welt werde zunehmen. Die Welt bewege sich auf eine Weltregierung zu (»gouvernance mondiale«), auf eine Beschränkung der Souveränität der Staaten (die heute ohnehin eine Fiktion sei).
Hessel zeigt sich in seinem (vorerst) letzten Buch weniger empörsüchtig und kämpferisch, eher als Vertreter einer großen, umfassenden Utopie, einer großen Hoffnung, eines Menschheitstraums. Das ist sein persönlicher Mythos, die Versöhnung der Götter, aber in einem Himmel, der sich auf der gemeinsamen Mutter Erde verwirklicht. Rückschläge, Niederlagen, Enttäuschungen sind immer nur Etappen auf dem Wege dorthin. Man kann sie überwinden.
In seinem Mythenbezug bleibt er seinem Vater treu, dem er als Empörer und Widerständler widerspricht. Franz Hessel wäre kein Widerständler im emphatischen Sinne geworden, er hätte aus Liebe zum Schicksal auch das größte Leiden hingenommen, hätte erhobenen Hauptes »das Schicksal der Berliner Juden geteilt«, wie er gesagt hat. Und Ulrich Hessel war gewiss ähnlich gestimmt. Franz Hessel wäre aber auch nicht resigniert aus dem Leben geschieden wie Walter Benjamin. Er hätte bis zuletzt Geschichten aufgeschrieben oder entworfen, an seiner Geisteswelt festgehalten, einerein poetische Form des Widerstandes, der Absage an die Barbarei, der Treue zur Freiheit. Er starb im Exil als freier Mann – mit einem Seufzer. Helen Hessel war viel rebellischer, fordernder, widersetzlicher. Sie riskierte mehr, auch große Enttäuschungen. Ihr ging es um Ausstrahlung, um Wirkung auf die anderen, um das Echo.
Das hat Stéphane von ihr geerbt. Auch er lebt im Echo auf die anderen, als zutiefst soziales Wesen. Er würde wohl kaum Sartres Satz unterschreiben: »Die Hölle, das sind die anderen.« Hessel gibt und nimmt, er charmiert und lässt sich bezaubern, und als
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