Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
eigentlich? Und was ist sein »Werk«?
Bei seinen Gegnern stiftet er Identitätsverwirrung. Denn man weiß nicht so genau, als was man ihn bezeichnen soll. Aber man ahnt, wie Legendenbildung funktioniert. So muss es mit früheren Religionsstiftern gewesen sein, um die sich dann ein Kranz von Anekdoten und von Evangelistenberichten lagert. Bis dann der Streit darüber losbricht, was er eigentlich gemeint hat, wofür er steht.
Stéphane Hessel ist kein Phantast, niemand, der über den Dingen schwebt. Dazu hat er viel zu viel Humor und auch Selbstironie. Sein Auftreten ist das Entscheidende, seine Gegenwart – und das Stichwort, das wir ihm verdanken:
s’indigner
. Es besagt, dass wir uns nicht zufriedengeben, nicht abfinden sollen mit dem, was wir vorfinden. Es will Stachel sein und Impuls, ein zündender Funken. Es geht aber auch darum, eine verlorene Würde, einen beeinträchtigten Stolz wiederzufinden, sich daran zu erinnern, wer man ist, wer man sein könnte. Hessel weckt Erwartungen – die
wir
erfüllen müssen.
Eitelkeit? Ja, und er gibt es zu. Und man ist froh, Fehler, Schwächen, Widersprüche an ihm zu entdecken, sonst würde man an seiner Realität zweifeln. Er hat eine hohe Idee von sich selbst, eben das meint »Würde«. Dabei hat er die tiefsten Erniedrigungen erleben müssen. Die Verletzung der Menschenwürde durch höhnische, gewissenlose Schergen. Er erlitt Wunden an Seele und Körper. Der eigentliche Widerstand des Stéphane Hessel ist, dass er dies überwunden hat, dass er seine Werte gerettet hat, bewahrt hat, weiterhin beglaubigt.
Er sei kein Schriftsteller, sagt er selbst. Geschrieben hat er eigentlich nicht, seine Texte sind meist nur gesammelte Worte. Die Einsamkeit und Kontinuität des Schreibens sind nicht seine Sache. Er ist kein Dichter, obwohl er so viel Poesie in sich trägt. Bei ihm gibt es keine eigene Poesie, außerim realen Leben. Dafür aber weiß er die Poesie zu genießen, zu feiern wie kaum einer.
Er ist auch kein Politiker im gewohnten Sinn, obwohl er immer in politischen Bezügen steckt und Stellung nimmt. Er redet über Politik, aber anders als ein Politiker, der eigennützige Pläne verfolgt. Er spricht nicht im Namen einer Institution, will nichts werden, sondern nur gehört werden. Er will auch nicht Geld verdienen mit einem Bestseller. Und er ist kein Machtmensch. Man kann ihn sich nicht als Werbeträger für etwas vorstellen. Er ist nicht ohne Opportunismus, aber auf seltsame Weise. Er ist immer bei den sympathischen Verlierern. Insofern sollten sich Politiker vielleicht nicht um seine Unterstützung bemühen.
Er ist eine Art Philosoph, aber so, wie man sie in der griechischen Antike kannte: Er hat keine Lehre, keine Texte, kein System, keine Theorie, keine grundlegende Erkenntnis. Er hat einen Lebensstil, der seine Botschaft und seinen Anspruch (an sich und an andere) enthält. Bei ihm heißt es, und zwar ganz grundsätzlich: »Indignez-vous! Seid bereit, euch zu empören! Wehrt euch, lasst euch nichts gefallen, verteidigt eure Würde, eure Werte, werdet aktiv, wendet euch gegen das, was unsere Welt ungerechter und hässlicher machen will, und bleibt in all dem positiv, versucht glücklich zu sein und glücklich zu machen.« Aber auch: »Tretet weltweit für das Recht aller Menschen auf ein würdiges und gesichertes Leben ein. Nur das ist der Weg zum universellen Frieden.« Sein Lebensfazit endet nicht mit einem selbstzufriedenen Rückblick, sondern mit einem Aufruf, einem Sprung in die Zukunft.
All das steckt in diesem freundlichen Imperativ, der zur Empörung aufruft. Stéphane Hessel ist ein reines Anti, in der Tat, die immerneue Alternative. Widerspruch tut not, jederzeit, überall. Er ist auch gegen Lauheit, beinahe möchte man sagen: wie der Papst. Und für manche mag er eine Art Papst sein. Der Papst der Ohnmächtigen.
Philosoph vielleicht, aber kein Weiser, das hat er vielfach betont. Ein Recht auf Nebendinge hat er sich bewahrt. Seine Frau Christiane definiert ihn als »homme d’action«, als Aktivisten, aber ohne parteimäßige Einbindung. Das Kämpferische gehört unbedingt zu ihm, auch die Provokation und das Ärgernis, auch der Widerspruch und das Fragwürdige.
Er ist eine Persönlichkeit eigenen Rechts, die in kein Schema passt. Er erfüllt eine Erwartung, die man auch religiös nennen kann, obwohl weder er noch seine Anhänger das zugeben würden, denn sie gibt sich nicht leicht zu erkennen. Er stammt aus einer anderen Zeit, einer anderen
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