Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
an. Sein Widerstand ist gleichsam instinktiv gewesen: ein Kampf, ein Aushalten, ein Überstehen – mit Stil.
Stil sollte auch die Auseinandersetzung über seine Thesen behalten. Dass das Kontroverse an seinen Positionen dadurch verschwindet, dass sich der Konflikt, in dem er sich besonders engagiert und exponiert hat, gütlich auflöst, dazu bedürfte es schon eines größeren Wunders. Doch, wie Stéphane Hessel gesagt hat: »Alles wirklich Wünschenswerte wird wahr.«
Traum
Wenn alles gesagt ist, kann man es noch schöner sagen. Auf das letzte Wort folgt ein allerletztes. Bei Stéphane Hessel muss man immer mit Überraschungen rechnen, vor allem dann, wenn er sagt, dies sei nun seine letzte Intervention. Zum Ende des Jahres 2011, in dem schon einiges andere unter seinem Namen erschienen war, präsentierte er eine Autobiographie der anderen Art, auf der zweiten Ebene gedacht sozusagen, als Reaktion und als Spiegelung des neuen Status, den er mit seiner kleinen, aber nachhaltigen Erfolgsschrift aus dem Herbst 2010 errungen hat.
Es ist ein flüssiger, leichter und doch dichter Essay, nahe am gesprochenen Wort, eine Montage aus seinen Interventionen bei verschiedenen Gelegenheiten, in verschiedenen Medien, aus Vorträgen und Interviews, vor allem aber aus Gesprächen im Rahmen des Collegium International im Mai 2011 (was von der Herausgeberin Maren Sell nur angedeutet wird). Diese Vereinigung in der französischen Tradition der Debattierclubs wurde nach dem 11. September 2001 von Stéphane Hessel und Edgar Morin gegründet und wird inzwischen geleitet von Milan Kucan und Michel Rocard. Absicht ist es, zur Verständigung zwischen den Kulturen beizutragen und zu vermeiden, dass Differenzen unfriedlich ausgetragen werden.
Tous comptes faits … ou presque
ist ein (vorläufiges) letztes Wort in eigener Sache. Der Titel knüpft an den abschließenden Memoirenband von Simone de Beauvoir an (
Alles in allem
) und meint »eine (beinahe) endgültige Bilanz«. Hier wird vieles verbindlicher und abwägender formuliert, als es in der ersten, aufrüttelnden Broschüre der Fall sein konnte. Hier redet nicht der »
militant «
, sondern der »
penseur «
. Viele Gegenargumente werden aufgenommen und abgewogen, viele Beiträge aus dem Collegium International fließen ein. Seine wichtigsten Gesprächspartnerdort (im Mai 2011) waren Michel Rocard, Peter Sloterdijk, Daniel Cohn-Bendit (den Hessel besonders schätzt), Régis Debray, Edgar Morin, der Ethnologe Jean-Claude Carrière und einige andere.
Die Montage ist gekonnt und wirksam, entspricht durchaus Hessels Methode, dem immer viele Argumente, Verweise und Begriffe zugeflogen sind, zugetragen wurden von Freunden und von Kritikern und der sie elegant einzubinden weiß in seinen Diskurs. Diese Anlage entspricht Hessels Stil, der seine Gedanken beim Reden entwickelt, in einem Duktus, der seiner Art der Gedichtrezitation ähnelt, ein leicht emphatisches Sprechen, gestenreich untermalt, mit auseinandergezogenen Silben, deutlichen Betonungen, wie sie General de Gaulle in seinen großen Reden pflegte (die in der französischen Umgangssprache aber nicht üblich sind). Diese Art, zu reden (wie eben auch das Rezitieren), öffnet das Gegenüber, macht den anderen bereit, auch Dinge zu hören, zu bedenken, vielleicht gar anzunehmen, die ihm sonst fremd sind – so Hessels eigene Theorie über die Wirkung von Gedichten.
Dass seine Gedanken in Buchform daherkommen, ist ein Paradox, das weiß der begabte Redner Hessel selber, der sich in diesem Essay ironisch auf Sokrates bezieht. Die Herausgeberin hätte demnach die Rolle von dessen Schüler Platon, der die Worte des Meisters verewigt, indem sie gleichsam eine Gestalt sprechen lässt, deren Dialoge sie indirekt wiedergibt, denn sie bezieht die Interventionen der anderen Teilnehmer eines Kolloquiums in deren Rede ein. So entfaltet sich der Text in einer kreisenden Bewegung als ständige Auseinandersetzung mit den Beiträgen oder Einwänden von anderen, die mit eigenen Worten wiedergegeben und hinterfragt werden.
Diese vermittelnde, nur scheinbar direkte Form ist ein Spiegel von Hessels Persönlichkeit, sie ist Teil eines großen Selbstporträts; und der Inhalt ist es auch. Zu finden ist hiereine Synthese aus seinen politischen Ansichten, aus biographischen Reflexionen, aus seiner Welterfahrung als Diplomat, aus seiner Liebe zur Poesie, seiner Ablehnung der Monotheismen und seiner Bezugnahme auf einen Götterhimmel, welcher völlig der
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