Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
griechischen Antike entspricht. Es ist das Selbstporträt eines modernen Goetheaners, der das Leben in seiner Ganzheit und die Welt in ihrer Vielfalt und zugleich Interdependenz sehen will – und der doch ein Handelnder, ein Kämpfender, ein Widerstehender, ein Empörer bleiben will.
In dem Streben nach Ausgleich und Einbeziehung des Widerspruchs erscheint er als Weiser, auch wenn er diesen Begriff ablehnt, und als Philosoph, was er durchaus in Anspruch nimmt, mit vielen Bezügen zu klassischen Denkern wie zu zeitgenössischen Autoren (die er nicht immer versteht, wie er zugibt). Seine Ansichten werden ergänzt und erläutert durch längere autobiographische Reflexionen in Bezug auf seine Familie, seine Freunde und sogar durch recht offene Worte zu seinem Liebesleben, zu seiner Liebesauffassung. Auch in der Liebe ist er kein Monotheist. Er spricht von seiner »Liebesarchitektur« mit nur wenigen Abenteuern, aber doch einer zeitweiligen Trennung von seiner ersten Frau, die auch ihrerseits Freunde hatte. Eifersucht hingegen habe er nie gekannt, er wisse aber, dass er anderen Kummer bereitet habe, sagt das »Kind von Jules und Jim«.
Stéphane Hessel ist dankbar für sein Leben in allen seinen Aspekten, er versöhnt sich mit allem, will aber doch nicht allzu friedselig erscheinen. Widerspruch muss sein. Das Konzept der »indignation« müsse bewahrt werden, auch wenn er Kritikern zugesteht, dass in diesem Begriff auch ein aggressives Moment liege. Die Empörung meine im Wesentlichen das Aufbegehren gegen das »Inakzeptable«, gegen Angriffe auf die Menschenwürde. Wo diese verletztwerde, gehöre es sich, nein zu sagen. Ins Politische übersetzt heißt das, unsere Gesellschaften bedürfen einer neuen Legitimität, und auch der demokratische Prozess, das politische Personal und dessen Methoden bedürfen einer Erneuerung. Es gebe eine Krise der politischen Führung, der Modelle und Vorbilder.
Im Folgenden entwickelt Hessel eine ganze Utopie, die Vision einer Weltharmonie, einer wechselseitigen Akzeptanz der Herkünfte und Traditionen, seine Version vom »ewigen Frieden« (Kant ist für ihn eine maßgebliche Referenz). Hessels Traum ist eine weltweite Zivilgesellschaft, die der wechselseitigen Abhängigkeit Rechnung trägt, deren Zentrale aber auch über Mittel zur Intervention und Sanktion verfügt (im Stil der UNO-Blauhelmsoldaten).
Allen, die ihn als Träumer und Irrealisten abstempeln wollen, entgegnet er, dass gerade er der Realist sei, denn das »Weiter-so« der Politik führe in die Katastrophe. Er ist alles andere als ein Apokalyptiker, blinder Alarmismus ist nicht seine Sache. Die Politik müsse ihre Natur ändern, die Gesellschaft müsse sich grundlegend verändern, der Begriff »Menschheit« habe angesichts der sieben Milliarden Erdenbewohner und der realen Interdependenz zum ersten Mal in der Geschichte einen konkreten Sinn. Dem müsse das politische Handeln Rechnung tragen. Er übernimmt sogar den Begriff der »Metageschichte« von Edgar Morin, als müsse man aus dem bisherigen Verlauf der Konflikte und Regierungsformen heraustreten. Das große Thema, für das es sich zu engagieren gelte, sei die Erschöpfung der Ressourcen des Planeten.
Man brauche Taten, die ständige Bereitschaft zum Engagement, man brauche vor allem Hoffnung (
espérance
– er benutzt immer wieder diese religiös getönte Vokabel), und diese sei im Wesentlichen die überwundene Verzweiflung. Nur keinen Pessimismus vorschützen! Das neue Zauberwort bei Hessel heißt »résilience«, das genau wie »résistance«zunächst ein Begriff aus der Physik ist. Letzteres meint die Widerstandsfähigkeit eines Materials, dann aber auch den Widerstand in der Elektrizität; als politische Metapher hieß es ursprünglich so etwas wie »Bewahrung«, »Verteidigung«, hatte einen eher konservativen Sinn, erst nach 1940 bekam es eine aktive, »linke« Bedeutung. »Résilience« aber meint in Bezug auf Materialeigenschaften »Elastizität«, Hinnahmefähigkeit, auch Verträglichkeit und vor allem Schwungkraft. Hessel definiert es als die Fähigkeit, »trotz alledem« weiterzumachen, über Enttäuschungen und Niederlagen hinaus.
Seinen Slogan »Empört Euch!« wolle er nun also abwandeln: Man brauche »courage« und »résilience«, das sei die Botschaft an die jungen Leute. In der »indignation« lägen zu viele negative Affekte. Es gebe auch stupide Formen und Begründungen von Empörung. (Man hatte ihn auf die negative Bedeutung der
Weitere Kostenlose Bücher