Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
sollten sie dort nicht mehr erleben, dafür aber die Geburt einer sehr konkreten politischen Hoffnung: dass sich die Nationen der Welt nach der universellen Katastrophe zu einer neuen Weltordnung zusammenfinden, die von Respekt, Freiheit, Gleichwertigkeit geprägt wäre. Diese Realität und Utopie zugleich prägte entscheidend das Denken und die Aktivität von Stéphane Hessel in seiner ganzen Laufbahn und darüber hinaus. Er kennt die UNO seit ihren Anfängen, sie ist die Schiene seines Denkens: globale Verantwortung, universelle Gültigkeit der Menschenrechte in einer Welt ohne Dominanz,ohne Unterdrückung, versöhnt mit der Natur, verantwortlich gegenüber den Ressourcen. Und weil er die Realität dieser Institution überblickt, weiß er auch um Schwierigkeiten und Probleme und Hindernisse. Aber das utopische Element hat immer zu ihm gehört, und es trat nach seiner Karriere wieder machtvoll hervor. Zudem hat diese Utopie eine reale Basis. Und in seinem Empfinden liegt das Schlimmste hinter ihm, es kann nur besser werden.
Kernstück der neuen Institution war die allgemeine Menschenrechts-Charta. Zuständig war eine Kommission von zwölf Mitgliedern unter dem Vorsitz von Eleanor Roosevelt, der Witwe des amerikanischen Präsidenten. Auf französischer Seite entscheidend war die Arbeit des Völkerrechtlers René Cassin, der im Krieg zu den Anhängern von de Gaulle gezählt hatte. Die mühseligen Verhandlungen zogen sich über zwei Jahre hin, mit Sitzungen in New York und in Genf.
Am 10. Dezember 1948 konnte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Paris verkündet werden, im Palais de Chaillot. 48 Staaten hatten mit Ja gestimmt, sechs hatten sich enthalten, darunter die Sowjetunion, Gegenstimmen gab es keine, und das war ein großer Erfolg. In 30 Artikeln wurden die Grundrechte ausgeführt, die allen Menschen zustehen, ohne Unterschied nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder Stand, auch unabhängig von dem Status in dem Land, in dem sich jemand aufhält. In den folgenden Jahrzehnten ist der Rechtekatalog präzisiert und erweitert worden. Heute muss jedes neue UNO-Mitglied diesen Katalog akzeptieren. Leider respektieren ihn nicht alle.
Seine politischen Erfahrungen wollte Stéphane Hessel in einem Buch verarbeiten. Der Titel der anthropologisch-politischen Studie sollte lauten:
La Société du vouloir-faire
. Ihm schwebte eine Gesellschaft guten Willens vor, die sichethische Ziele setzt. Trotz einer Auszeit auf dem Lande gelang die Verwirklichung dieses Projekts nicht. Einerseits war es zu früh, seine voluntaristischen Thesen zu formulieren, andererseits war das Schreiben seine Sache nicht, zumal ihm wenig Zeit blieb. Er war und ist ein Mann des gesprochenen Wortes, und das hat seine ebenbürtige Würde und Wirkung. Immer hat er Reformbemühungen innerhalb der UNO befürwortet, so auch, als der neue Generalsekretär Dag Hammarskjöld Mitte der 1950er Jahre der Institution neuen Schwung verleihen wollte.
An den Verhandlungen über die Menschenrechtskonvention hat Stéphane Hessel teilgenommen; ein Mitredakteur im engeren Sinne, wie bisweilen suggeriert wird, war er aber nicht. In seiner Laufbahn wechselten sich in der Folge Ämter bei internationalen und bei französischen Instanzen ab. Zwischen 1951 und 1954 und dann wieder ab 1969 war er Ministerialdirektor bei den Vereinten Nationen. Sein Chef beim zweiten Mal war Generalsekretär Sithu U Thant.
Es versteht sich, dass er Staatsmänner aus aller Welt kennenlernte und vielfache Verbindungen knüpfte. Nun war er auf dem internationalen Parkett tätig, wie es seine Mutter einst erträumt hatte. Er galt als Spezialist für die multilaterale Diplomatie, leitete diverse Delegationen nach Asien. 1974 trat er in das Pariser Ministerium für Entwicklungshilfe ein, war vor allem mit Afrika befasst, eine beinahe schicksalhafte Verbindung. 1977 wurde er wieder zu den Vereinten Nationen geschickt. Die fünf Jahre als ständiger französischer Vertreter bei der UNO in Genf waren vielleicht der Höhepunkt seiner Laufbahn, hier konnte er agieren, repräsentieren und auch kulturell glänzen.
Die Vertretung am zweiten Sitz der Weltorganisation war nicht so prestigeträchtig wie die am Hauptsitz in New York, aber es war doch immerhin ein richtiger Botschafterposten, den er mit 59 Jahren erhielt, zuvor war er nur Geschäftsträger gewesen. Er fühlte sich wohl
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