Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
verliefen in einer Atmosphäre großen Wohlwollens. Außerdem schuf diese Arbeit einen gewissen Abstand zum unmittelbaren Erlebnis. Etwas später schrieb Stéphane einen stark stilisierten Text über seine Erfahrungen in der Gefangenschaft, von der Festnahme in Paris bis zur Befreiung. Unter dem Titel
In ihren Händen
erschien der elegante, lakonische Beitrag in Jean-Paul Sartres Zeitschrift
Les Temps modernes
. Seine Frau Vitia verfasste derweil zusammen mit Daniel Cordier einen Bericht über die Arbeit der BCRA in London.
Stéphanes Mutter Helen und sein Bruder Ulrich waren aus dem Département Haute-Savoie nach Paris zurückgekehrt. Stéphane bemühte sich sogleich um ihre Einbürgerung als Franzosen, die im Jahr 1947 erfolgte, relativ schnell für französische Verhältnisse, vor allem weil die Nachfrage in diesen Jahren sehr hoch war. Nun war endlich ein wenig Erholung angezeigt: Stéphane und Vitia erhielten einen Ford Mercury aus den Beständen der amerikanischen Armee und fuhren damit in die Haute-Savoie. Sie verbrachten dort einen Ferienmonat in einem Hotel in Menthon-Saint-Bernard, das speziell für die Deportierten und ihre Angehörigen reserviert war. Das Hotel lag am Ostufer des Lac d’Annecy, der angeblich Lamartine zu seinem Gedicht
Le
Lac
angeregt hatte, dessen Verse Stéphane als Code-Grundlage gedient hatten; das Gedicht ist in seiner Wirkung in Frankreich mit der von Schillers
Glocke
in Deutschland zu vergleichen. Das Wandern, Bergsteigen, Nichtstun und die Gespräche mit Freunden halfen bei der Rückkehr in ein normales, ziviles Leben – das dann doch sehr ungewöhnlich wurde.
Nach seiner Aufnahme in den diplomatischen Dienst hieß es, eine erste Auslandsstation anzutreten. Als Viertplatziertem unter den Prüflingen entgingen Stéphane die Botschaften in London oder Washington. So entschied er sich für China. Er sollte nach Chongqing, wo seit 1938 die Regierung des Generals Chiang Kai-shek, die Mitglied im Sicherheitsrat der UNO war, ihren provisorischen Sitz hatte. (1949 flüchteten Chiang Kai-shek und seine Anhänger nach Taiwan.) Vitia gefiel die Wahl dieser Stadt in einer trockenen Region Zentralchinas nicht, aber sie besorgte sich doch gleich einige Bücher über Kultur und Geschichte des Reichs der Mitte. Die Reise zum neuen Dienstort wollte sie aber unbedingt über New York machen, um ihre Eltern zu besuchen. Damit spielte sie Schicksal auch für ihren Mann.
Am 2. Februar 1946 gingen die Hessels in Bordeaux an Bord eines amerikanischen Schiffes, das im Krieg als Truppentransporter gedient hatte, alles andere als ein Luxusliner. 21 Tage brauchte das eiserne Ungetüm, um sich durch die schwere See zu kämpfen. An Bord waren nur 25 Passagiere. Angelaufen wurde der Hafen Portland im Bundesstaat Maine, 300 Kilometer nördlich von Boston. Von dort ging es mit dem Zug nach New York.
Bei dem freudigen Wiedersehen mit den Schwiegereltern erzählte Stéphane von seinem Krieg. Sein Schwiegervater stellte ihn Henri Laugier vor, der genau wie er im Krieg den gaullistischen Kreisen in New York angehört hatte und nun für Frankreich bei der UNO arbeitete, im Jahr 1946sogar als Stellvertreter des Generalsekretärs, des Norwegers Trygve Lie.
Laugier war beeindruckt von Stéphane und wollte ihn unbedingt in seiner Mannschaft haben. Er intervenierte in Paris, um dessen Ernennung ändern zu lassen. Und so begann Stéphane seine Karriere nicht im fernen China, das von einem Bürgerkrieg erschüttert wurde, sondern da, wo entscheidende Weichenstellungen der Nachkriegspolitik erfolgten: mit der Etablierung der Vereinten Nationen und ihrer Organisationen, der Ausarbeitung und Annahme der Menschenrechtserklärung, dem Beschluss zur Gründung des Staates Israel, aber auch mit Konfrontationen zwischen Ost und West in den ersten Zuckungen des Kalten Krieges. Die UNO residierte damals noch nicht in dem schmalen hohen Gebäude am East River wie heute, auf einem Gelände, das die Familie Rockefeller zur Verfügung gestellt hatte, sondern in einer unterirdischen Fabrik in Sperry Plant auf Long Island. An solch einem Ort musste Stéphane unweigerlich an den Tunnel von Dora denken. Von Buchenwald und Dora nach Sperry Plant in anderthalb Jahren – welch eine Veränderung in so kurzer Zeit! Und vor allem: Welche Chancen und welche Erfahrungen erschlossen sich hier!
Fünf Jahre blieben Stéphane und Vitia in New York. Dort wurde ihr erstes Kind geboren, die Tochter Anne. Die Fertigstellung des neuen Gebäudes
Weitere Kostenlose Bücher