Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Verlierer, auf der Seite der großen Hoffnungen, der Utopien, der schwierigen Kämpfe. Das spricht nicht gegen ihn, zeigt nur, dass er im traditionellen Sinn kein Politiker ist. Heute ist er ein Club für sich allein, verweist aber immer wieder gern auf andere Politiker und Denker. Zwar hat er sich immer dem linken Lager zugerechnet, ist 1995 sogar der Sozialistischen Partei beigetreten – nach deren Niederlage bei der Präsidentschaftswahl. Mit dieser Entscheidung ist er seiner Linie treu geblieben. Aber wer neben der Hauptspur fährt, kommt auch ans Ziel.
Vitia Hessel hatte eine Ausbildung zur Konferenzdolmetscherin gemacht (für die Sprachen Französisch, Englisch,Russisch) und wurde bei verschiedenen internationalen Konferenzen von UNO und UNESCO eingesetzt. Sie verdiente recht gut in diesem Beruf, brachte es schließlich zur Ausbilderin in diesem schweren Metier. In dieser Eigenschaft war sie oft unterwegs in der Welt. Bei der Betreuung ihrer Kinder half ihr »la Vava«, die lettische Gouvernante ihrer eigenen Kinderjahre.
Erst in ihren letzten Jahren machte sich Vitia Hessel einen Namen als Autorin. Ihr erster Roman, die Familiengeschichte
Le temps des parents
(Die Zeit der Eltern), spielt zwischen der unmittelbaren Nachkriegszeit und dem Jahr 1961, als Paris im Schatten des Krieges in Algerien stand. Die Geschichte des Paares Doris und Frédéric, »moderner Eltern«, war von Erlebnissen im eigenen Umkreis inspiriert. Die Geschichte eines Problemkindes, das Gewicht der Zeitgeschichte, die Generationsunterschiede, die Vereinsamung in diesem Paris, das in zu vielen Erinnerungen ertrinkt, sind in einen magisch langsamen Erzählstrom eingebunden. Liest man das Buch heute, entfaltet sich ein dichtes Zeitpanorama einer hoch politisierten Hauptstadt.
Der Text fand begeisterte Zustimmung bei Simone de Beauvoir, die ihn in ihren Memoiren
Alles in allem
als wichtiges Lektüreerlebnis erwähnt. Beauvoir schätzte Vitia Hessel auch als Mensch. Die Gestalten bei Vitia Hessel sind durchaus existentialistisch betrachtet, sie sind selbstbewusste, aber verlorene Einzelgänger im Strom der Geschichte, in den Widersprüchen des Alltags.
Die algerischen Erinnerungen wurden in
La désaccoutumance
(Die Entwöhnung) verarbeitet, einem Roman über unerfüllbare Wünsche und nur vordergründig über das Rauchen und seine tödlichen Folgen. Die Zeit selber ist das Gift, dessen man sich nicht entwöhnen kann. Vitias Erzählstil findet hier sehnsüchtige Akzente, die an Marguerite Duras erinnern. Wie im ersten Roman ist auch hier die Zeitgeschichte sehr genau eingespiegelt – Algerien um1965. Leider starb die Autorin selbst an Lungenkrebs im März 1985.
Posthum erschien die Erzählung
Vlad
, die Geschichte eines russischen Einwanderers in Paris. Er war ein Dissident in der Sowjetunion, überlebte den Gulag, gelangte in den Westen, schlug sich dann in Paris mit kleinen Jobs durch. Freunde raten ihm, seine Erlebnisse aufzuschreiben, aber er zögert. Er ist die ewige Figur des Emigranten in seiner zerrissenen Identität und in der Unmöglichkeit, seine Erlebnisse mitzuteilen, und der von seiner Erfahrung erdrückt wird, der Vitia Hessel hier ein dichtes Zeugnis setzt. Ihre Romane müssten unbedingt wiederentdeckt werden, auch in Frankreich.
Vitia Hessel hatte daneben an diversen Publikationen mitgearbeitet, meist auf freundschaftlicher Basis. Nachdem Henry Frenay in einem Buch sehr heftig gegen alte Kameraden aus der Résistance Stellung bezogen hatte, sie als heimliche Kommunisten oder als deren Helfer angriff, wollte sich Daniel Cordier zur Wehr setzen. Cordier, inzwischen als Kunsthändler tätig, verteidigte öffentlich seinen einstigen Chef Jean Moulin, nannte Frenay einen Antisemiten. Vitia half Cordier beim Schreiben seiner Artikel und Bücher. Cordier wurde schließlich selbst angegriffen wegen seiner eigenen Rolle in der Résistance, woraufhin Stéphane Hessel ihn in einem Artikel in
Le Monde
verteidigte.
Der Kampf um die Deutungshoheit der Résistance flammte immer wieder auf. Der Publizist Thierry Wolton veröffentlichte eine scharfe Attacke, in der er nicht nur Jean Moulin, sondern auch andere Persönlichkeiten der Linken als heimliche Agenten der Sowjetunion darstellte, gewiss nicht immer zu Unrecht, nur im Fall von Jean Moulin lag er daneben. Zu den von Wolton Verdächtigten gehörte auch Henri Laugier, der Mentor Stéphane Hessels bei der UNO. Letztlich blieb es bei Verdächtigungen, zu einer Aufklärungkam es
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