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Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Endemann
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ging aus dem Zimmer und schloss die Tür.
    Frau Heinemann hatte die Augen geschlossen und atmete rasselnd. Henry zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ans Bett. Er legte seine Hand auf die von Frau Heinemann und sprach sie an. Frau Heinemann öffnete langsam die Augen. Sie wandte mühsam den Kopf, um Henry anzusehen.
    „Schwer zu sprechen“, brachte sie heraus. Sie drückte seine Hand, als wollte sie ihn so begrüßen, ohne etwas sagen zu müssen. „Meine Töchter“, fuhr sie fort. „Ich weiß nicht, ob ich das Richtige getan habe.“ Sie atmete schwer. „Stephanie war immer die Pragmatische. Sie kann … sich kümmern.“ Ihr Atem ging flach und sie schloss die Augen. Henry dachte schon, sie würde einschlafen. Aber sie öffnete die Augen und fuhr mit Mühe fort: „Sibylle – ich dachte immer, sie kehrt noch zurück, zu ihrem Mirko. Ach, wie habe ich es ihr gewünscht.“ Tränen standen jetzt in Frau Heinemanns Augen. „Meine geliebten Töchter“, flüsterte sie. Sie fasste Henrys Hand fester. „Der Flügel ist nicht alles“, sagte sie eindringlich. Sie machte eine Pause. „Zwischen den Rippen“, brachte sie dann hervor.
    Henry starrte verwirrt auf ihren von der Bettdecke bedeckten Oberkörper. Hatte sie Schmerzen, Atemnot? „Die Ärztin ist unterwegs“, sagte er zu ihr. „Oder soll ich Antoni rufen?“ Henry wusste, dass Dr. Herold Antoni Morphium dagelassen hatte, für den Fall, dass Frau Heinemann plötzlich starke Schmerzen bekam.
    Frau Heinemann schüttelte kaum merklich den Kopf. „Die Lebensversicherung der Gräfin“, flüsterte sie und lächelte. „Und meine. Aber ich brauche sie jetzt nicht mehr.“
    Darauf musste sie husten und nach dem Anfall sank sie schwer ins Bett zurück. Antoni hatte ihr wohl schon eine Spritze gegeben, denn sie redete wirr. Henry nahm ihre Hand in beide Hände und betete mit ihr. Für ihre Seele. Für ihre Töchter. Das Vaterunser. Frau Heinemann war jetzt ruhig. Es war schwer zu sagen, ob sie schlief oder bei Bewusstsein war.
    Henry stand auf und bat die Töchter zurück ans Sterbebett ihrer Mutter. Alle drei setzten sich ins Wohnzimmer, Henry etwas abseits, die Töchter ganz nahe. Nach einer halben Stunde kam Dr. Herold, die Ärztin. Sie schaute die Sterbende prüfend an und fühlte ihren Puls. Die Frau schien keine Schmerzen zu haben und so nahm sich auch Frau Herold einen Stuhl und setzte sich. Sie warteten.
    –
    Schlaf überflutete Katharina Heinemann wie eine warme Welle und spülte sie mit sich in die Welt der Träume, in der sie in den letzten Tagen schon oft zu Gast gewesen war. Eine Welt, in der sie wieder jung war. Sie war die kleine Katharina, die wie eine Elfe so leichtfüßig und gelenkig durchs Gutshaus sprang, immer darauf bedacht, der Mutter und der Küchen-Elli zu entkommen, die sie zum Arbeiten anstellen wollten. Sie lief die Treppe hinauf, die hellen Gänge entlang, der Musik entgegen. Die Gräfin spielte Chopin. Katharina liebte die Mondscheinsonate.
    „Nicht schon wieder!“, lachte die Gräfin und stimmte ein Präludium an. In der Sonne tanzten Staubkörner über dem Parkett.
    „Wo hast du dich wieder so staubig gemacht?“, würde ihre Mutter ausrufen. Aber jetzt war sie erst mal hier. Sie sah auf die schwarzen zierlichen Schuhe der Gräfin, die auf die Pedale traten, ein Stück brauner Strumpfhose, dann Rocksaum und darüber der Holzkorpus des Flügels. Wie eine Höhle bot der Flügel Katharina Unterschlupf. Hier traute sich die garstige Elli nicht, hereinzustürzen und Katharina zum Kartoffelschälen in die Küche abzukommandieren. Katharinas Hand glitt halb neugierig, halb zärtlich streichelnd am geschwungenen Bein des Flügels hinauf und an einer hölzernen Rippe entlang.
    Ihre Hand legte sich auf den Boden des Flügels, der das Dach ihrer Höhle bildete. Sie drückte leicht nach oben und etwas gab kaum merklich nach. Sie nahm die Hand weg und da fiel eine dünne Platte auf den Holzboden. Es schepperte und das Spiel der Gräfin stoppte abrupt.
    Katharina zog unwillkürlich den Kopf ein. Was hatte sie getan? Sie hatte den Flügel beschädigt! Die Gräfin liebte den Flügel, das wusste Katharina. Er war unfassbar wertvoll, hatte einen wunderschönen Klang. Katharina kauerte auf dem Boden und wünschte, er würde sie verschlingen. Ihr Zufluchtsort bot ihr keinen Schutz mehr. Der lockige Kopf der Gräfin erschien unterhalb des Flügels.
    „Hoppla!“, sagte die Gräfin.
    Katharina lugte vorsichtig in ihre Richtung. Auch wenn es

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