Sterbelaeuten
Schwalbach“, antwortete Thomas. „Aber hier gefällt es ihm besser und er kennt ja auch den Herrn Torat.“
„Und jetzt hilft er beim Standdienst“, stellte Henry fest. Nicht nur ließ dieser sagenhafte Mann sich überhaupt blicken, er half auch noch mit. Vielleicht geschahen in Sulzbach neuerdings Wunder und er hatte es gar nicht bemerkt.
„Er hat sich eigentlich für den Besuchsdienst interessiert, deswegen hat Ilona ihn zu mir geschickt.“ Thomas organisierte den Besuchsdienst der Gemeinde, eine Gruppe von Leuten, die ältere Menschen besuchten, die einsam waren und nicht mehr aus dem Haus gehen konnten.
„Aber?“, fragte Elisabeth.
„Na ja, du weißt doch, wie die alten Leutchen sind. Wenn da so ein junger Mann ankommt, den sie nicht kennen, da kriegen sie ja Angst. Ich hab ihm gesagt, er soll doch erst mal beim Gemeindebrief mithelfen. Dass die Leute ihn kennenlernen. Und Ilona hat ihn gleich für den Standdienst klargemacht.“
Es war nie leicht, die Dienste für den Weihnachtsmarkt zu besetzen, weil alle ehrenamtlichen Mitarbeiter noch mindestens in zwei weiteren Sulzbacher Vereinen aktiv waren, die ebenfalls auf ihre Mitarbeit zählten. Manche hetzten von einem Standdienst zum nächsten. Kein Wunder, dass die Sekretärin gleich zugeschlagen hatte.
Henry ging ein paar Schritte und kippte seinen Becher in die Büsche neben der Kirche. Solidarität mit dem evangelischen Kindergarten hin oder her. Nächstes Jahr würde er den Glühwein beim Deutsch-Französischen Freundeskreis kaufen.
–
„Okay, was haben wir?“
Kriminalhauptkommissar Röhrig trat in das Schlafzimmer der alten Dame und ließ seinen Blick über die Beamten von der Spurensicherung schweifen, die – wie er immer fand – in ihren unförmigen weißen Anzügen aussahen wie Zewa-Rollen, die eine Choreographie in Zeitlupe einübten. Er registrierte die Blümchentapete, das Einzelbett, den Fernseher, das Trainingsgerät, blieb etwas breitbeinig stehen und sah Leddig erwartungsvoll an.
Die Männer und Frauen der Spusi sahen kaum auf. Leddig, der Chef der Truppe, konnte Röhrig nicht leiden. Beim dritten Bier hatte Kollege Mertens Röhrig erzählt, dass Leddig ihn hinter seinem Rücken „Mike-die-Gelfrisur-Röhrig“ nannte und einen „Cowboy“. Offensichtlich hatte Leddig seiner Truppe diese Meinung eingeimpft.
„Ursula Fromme, 79“, ließ sich Leddig schließlich herab. „Der Untermieter hat sie identifiziert. Ist vermutlich seit drei Stunden tot. Es gibt keine Anzeichen für Fremdeinwirkung.“
„Todesursache?“ Röhrig beugte sich über die alte Frau, die in leicht gekrümmter Seitenlage vor ihrem Bett lag.
„Herzversagen. Kann viele Ursachen haben. Die Kleidung der Frau ist am Rücken und unter den Armen nass und riecht nach Schweiß. Ich schätze, sie war am Hometrainer zugange und hat es etwas übertrieben. Ist gar nicht so selten, dass in der Ruhe nach dem Training ein plötzlicher Herztod auftritt.“
„Einbruchspuren?“ Röhrig hatte aus Fernsehkrimis gelernt, dass Einwortsätze absolut ausreichend waren.
„Keine.“
„Und was machen wir dann hier?“ Röhrig machte eine den Tatort umfassende Geste. Es war ja nicht so, als hätte er keine anderen Fälle zu lösen. Im Gegenteil. Die Aktenstapel auf seinem Schreibtisch wuchsen ihm über seine Gelfrisur, wie Leddig es ausdrücken würde.
„Der Untermieter hat die Polizei gerufen. Die haben uns verständigt. Sie ja wohl auch. Wir waren halt früher hier.“
„Was soll denn das heißen?“ Leddig wollte ihn ärgern und es gelang ihm auch.
Leddig zog die Plastikhandschuhe aus, die dabei ein schmatzendes Geräusch machten. „Das heißt, wir sind hier fertig und nehmen die alte Dame der guten Ordnung halber mit. Vielleicht finden wir bei der Obduktion mehr heraus.“ Ohne die Polarforscherkapuze sah Leddig ganz passabel aus und er wusste es. „Sie könnten sich ja mal um den Untermieter kümmern“, schlug er Röhrig vor. „Er sitzt im Nebenzimmer und versucht, seinen Nervenzusammenbruch unter Kontrolle zu bringen.“
Leddig winkte sein Team mit sich und sie drängten sich an dem Kommissar vorbei. Röhrig hörte, wie er zwei Männer anwies, eine Bahre zu holen. Er betrachtete noch einige Zeit die Frau am Boden, schon um nicht den Eindruck zu erwecken, er bräuchte sich von Leddig sagen zu lassen, was er als Nächstes tun sollte. Dann machte er sich wiegenden Schrittes auf, den Untermieter zu suchen.
–
Der Gottesdienst ging dem Ende zu. Es war der
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