Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
irgendwie schien das keine Rolle zu spielen, während in anderen Ländern, selbst wenn alles perfekt lief, das Leben immer noch ein Elend war.
»Il treno regionale 22485 proveniente da Paola viaggia con un ritardo di circa trenta minuti.«
Nein, er würde seinen Job nicht verlieren. Die Verspätung des Zuges, der ihn von Cosenza zur Hauptstrecke an der Küste bringen sollte, würde mit größter Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass er den Sitzplatz verlieren würde, den er im Intercity Express nach Rom reserviert hatte, und deshalb keine Chance hätte, noch heute Abend nach Lucca zu kommen, doch sein Job war sicher. Gewiss, die da oben hatten entschieden, dass »das katastrophale und tragische Ergebnis« der Ereignisse in der vergangenen Nacht auf Zens »vorschnelles Handeln in einer komplexen Situation, die ein ausgezeichnetes Fingerspitzengefühl und sehr gute Ortskenntnisse erfordert hätte« zurückzuführen sei. Es war sogar vorgeschlagen worden, ob es nicht im Interesse aller, einschließlich seinem eigenen wäre, wenn man ihn vorzeitig in den Ruhestand schickte.
Andererseits hatte man ihm kein »grobes Fehlverhalten« vorgeworfen, was so ungefähr die einzige Möglichkeit war, einen Staatsbeamten aus seiner gemütlichen Zelle herauszukriegen. Solange beispielsweise diese Eisenbahnangestellten bloß die Fahrgäste unfreundlich und arrogant behandelten, in ihren Büros eingerahmte Porträts von Che Guevara aufhängten und ab und zu die Portokasse frisierten, konnte ihnen niemand etwas anhaben. Wenn sie jedoch die Weichen nicht richtig stellten oder durch ein falsches Signal zwei Züge zusammenstoßen ließen, wäre das eine ganz andere Sache. So etwas hatte Zen nicht getan.
Zwei Männer waren tot, doch das hatte man nicht als »direkte Folge« seiner »bedauerlichen Initiative« angesehen. Mit anderen Worten, er war unartig gewesen, doch man würde ihm verzeihen. Mama Staat hatte ihren Sohn ausgeschimpft, aber nicht verstoßen.
Irgendwann war es ihm letzte Nacht gelungen, auf den Pfad zurückzukriechen. Dort hatte ihn der Digos-Agent auf der Moto Guzzi abgefangen, der von seinen Kollegen herbeigerufen worden war. Zen war auf dem Rücksitz mit ihm zum Tatort gefahren. Dabei handelte es sich um ein ebenes Gelände, das, nach den leeren Bierflaschen, Spritzen und benutzten Kondomen zu urteilen, die im Scheinwerferlicht des schwarzen Jeeps zu erkennen waren, von den jungen Leuten aus der Gegend als Treffpunkt benutzt wurde. Nicola Mantega stöhnte, versuchte etwas zu sagen und erbrach immer wieder Blut. Neben ihm lag Giorgio reglos da. Seine Schwester, die man mit Handschellen an den Kühlergrill des Jeeps gefesselt hatte, schrie hysterisch.
Die Berichte darüber, was geschehen war, variierten. Natale Arnone behauptete, Giorgio habe zuerst geschossen, er habe das Feuer erwidert, und die anderen hätten dann Giorgio erschossen und Mantega irrtümlich ebenfalls. Die Digos-Leute bestätigten, dass Giorgio grob in ihre Richtung geschossen habe, »klassisches Überschallpfeifen heranfliegender Kugeln und dann das Einschlaggeräusch, aber nicht direkt in unserer Nähe«, dass Arnone zurückgeschossen und Mantega getroffen habe, und als Giorgio ihren Befehl, seine Waffe fallen zu lassen, ignorierte, hätten sie ihn getötet. Die Lichtung war zu klein, und die riesigen Pinien ragten zu weit darüber, um einen Rettungshubschrauber kommen zu lassen. Eine Stunde später hatte ein Militärkrankenwagen den tückischen Schlammpfad passiert, der zu der Stelle führte. Zu dem Zeitpunkt war Nicola Mantega bereits tot.
»Il treno regionale 22485 proveniente da Paola viaggia con un ritardo di circa venti minuti.«
Aurelio Zen blickte zu den Bergen ringsum, die Cosenza von allen Seiten einschlossen. Die autostrada und die Hochgeschwindigkeitsstrecke mit Anschluss an das nationale Verkehrsnetz waren erst in den sechziger und siebziger Jahren gebaut worden, doch der Charakter der Städte und ihrer Bewohner hatte sich über Jahrhunderte gebildet und nicht über Jahrzehnte. Cosenza sah sich immer noch - und wurde auch von anderen so gesehen - als eine rückständige Provinzstadt, die hauptsächlich deshalb bekannt war, weil Alarich dort begraben worden war. Und er hatte gut daran getan, dachte Zen. Trotz aller Mängel war Cosenza ein guter Ort, um dort begraben zu sein, was Zen mehr oder weniger heute Morgen auch passiert war, als Gaetano Monaco vor Selbstvertrauen, Energie und Weisheit strotzend in die Questura kam und kaum
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