Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
Verbformen sind sehr komplex.«
Die autostrada war um diese späte Stunde fast leer, und obwohl es eine längere Strecke bergan ging, fuhr der Alfa fast zweihundert Stundenkilometer. Dennoch konnte der einfache und schon etwas ältere Fiat, in dem das junge Paar saß, das sich am Flughafen getroffen hatte, dank einiger kostspieliger technischer Veränderungen mithalten, blieb aber ein paar Kilometer zurück, so dass selbst seine Scheinwerfer für das Zielobjekt auf dieser kurvigen, durch zahlreiche Tunnel führenden Autobahn die meiste Zeit unsichtbar blieben. An der Limousine, die Nicola Mantega gehörte, war kürzlich ebenfalls eine Veränderung vorgenommen worden, allerdings ohne Wissen und Zustimmung des Besitzers. Das Ergebnis war ein beweglicher Kreis mit einem Kreuz darin, der auf dem Flachbildschirm im offenen Handschuhfach vor den Knien der Frau zu sehen war. Auf Grundlage dieser Information machte sie ihren Kollegen am Lenkrad darauf aufmerksam, wenn er von dem vereinbarten Abstand abwich.
»Mein Vater hat nie mit mir Italienisch gesprochen«, erklärte Tom Newman.
»Tatsächlich? Wie haben Sie dann unsere schöne Sprache gelernt?«
»Von meiner Mutter.«
»Ah! Also ist sie Italienerin.«
»War. Sie ist vor vier Jahren gestorben.«
»Mein Beileid.«
»Ihre Familie stammte aus Apulien. Ihre Eltern waren amerikanische Staatsbürger, doch als meine Mutter fünf Jahre alt war, beschlossen sie, zurück nach Italien zu ziehen. Meine Mutter ist zweisprachig aufgewachsen, und als sie achtzehn war, ist sie auf ein College in den Staaten gegangen. Dort hat sie meinen Vater kennen gelernt. Er hat mir erzählt, er habe an einem Italienischkurs teilgenommen, weil er sich in sie verliebt hatte und sie gerne diese Sprache sprach, wenn sie allein waren.«
Auf diese Bemerkung folgte ein längeres Schweigen.
»Dann scheint es eine Diskrepanz zu geben zwischen dem, was Ihr Vater Ihnen erzählt hat, und dem, was er mir erzählt hat. Er sagte nämlich, dass er hier in Kalabrien geboren wurde.«
Der junge Amerikaner starrte ihn mürrisch an. Plötzlich leuchteten seine Augen auf.
»Dann kann der Mann, den Sie kannten, nicht mein Vater gewesen sein. Das Ganze muss ein Irrtum sein. Irgendein Betrüger muss seine Identität angenommen haben und ist entführt worden, und jetzt ist er …«
»Ich kann Ihren Kummer und Schmerz gut verstehen«, sagte Mantega, »aber Sie dürfen sich nicht kindischen Fantasien hingeben. Natürlich war das Ihr Vater. Er hat mir gleich zu Anfang seinen Pass gezeigt, wie auch ich ihm meine Papiere gezeigt habe. Die Angelegenheit, die wir zu besprechen hatten, war äußerst heikel und vertraulich, und es war wichtig, dass auf beiden Seiten absolutes Vertrauen herrschte. Es ist völlig ausgeschlossen, dass ich mich hinsichtlich seiner Identität geirrt habe.«
Tom Newman war jetzt unverhohlen bockig. »Nun ja, Signor Mantega, ich habe den Pass meines Vaters ebenfalls gesehen. Und wenn Sie ihn genauer betrachtet hätten, wäre Ihnen aufgefallen, dass als Geburtsort der District of Columbia, USA, angegeben ist.«
Mantega machte jene sanfte italienische Geste, mit der man den Zorn vertreibt. »Es ist mir aufgefallen, und als er mir später erzählte, er sei Kalabrier, habe ich es natürlich erwähnt.«
»Was hat er gesagt?«
»Dass es eine lange Geschichte wäre. Eine typisch kalabrische Antwort. Er wollte offensichtlich nicht darüber reden. Aber er muss Ihnen doch irgendwas über seine Herkunft erzählt haben. Was hat er gesagt?«
»Dass er Amerikaner ist«, antwortete Tom barsch.
Mantega lächelte. »Indianer?«
»Natürlich nicht! Außerdem nennen wir sie nicht mehr so.«
»Was hat er denn gesagt, wo seine Familie herstammt? Alle Amerikaner kommen doch irgendwo anders her. Ihr Land ist erst zweihundert Jahre alt.«
»Das ist eine ganz schön lange Zeit.«
Nicola Mantegas Lächeln wurde zu einem selbstgefälligen Grinsen. »Lange für Sie, kurz für uns.«
»Er hat mir erzählt, dass seine Familie bereits seit Generationen in den Staaten lebte und sich durch Heirat so stark vermischt hatte, dass man nicht mehr feststellen konnte, wer woher kam. ›Wir sind Amerikaner, und der Rest ist egal‹, pflegte er zu sagen. Mir ist das auch alles egal. Ich will nur meinen Vater wiederhaben. Diese Schweinehunde von der Filmgesellschaft, für die er gearbeitet hat, haben jegliche Verantwortung abgelehnt mit der Begründung, dass er kein Angestellter sei und in seinem Vertrag nichts über Haftung
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