Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
völlig für sich. Die Wohnung war ruhig, klimatisiert und nur wenige Minuten zu Fuß von seinem Büro entfernt.
Trotzdem hatte er die ganze Zeit schlecht geschlafen, wachte ohne erkennbaren Grund auf und träumte zu viel und zu lebhaft. Zen hatte nie besonders auf seine Träume geachtet, doch nun forderten sie seine Aufmerksamkeit wie ein Haufen aufdringlicher Bettler, insbesondere in dem Zwischenstadium zwischen Schlafen und Wachen, wenn er nur halb bei Bewusstsein und völlig hilflos war. Sobald er wach genug war, um zu durchschauen, was da passierte, stieg er aus dem Bett, ging in das hochmoderne Badezimmer und nahm eine kalte Dusche, die er mit einer Sturzflut von Wasser beendete, das so heiß war, wie er es gerade noch aushalten konnte. Danach ging er nackt in die gut ausgestattete Küche, füllte die caffetiera, stellte sie auf die Gasflamme, zündete sich die erste Zigarette des Tages an und telefonierte mit seiner Frau in Lucca, bevor diese das Haus verließ, um ihre Apotheke aufzumachen.
Zen hatte schon überlegt, ob er sie bitten sollte, ihm ein paar Schlaftabletten zu schicken, doch er gab nur ungern eine Schwäche zu. Außerdem hatte er mit Gemma ein unausgesprochenes Abkommen, ihr Berufs- und Privatleben so weit wie möglich getrennt 58 zu halten. Im Grunde hätte er kaum sagen können, worüber sie sich in diesen täglichen zehn- bis fünfzehnminütigen Gesprächen unterhielten, die so mühelos wie ein Fluss dahinzuplätschern schienen und ihm das Gefühl gaben, gelassen, kompetent und bereit zu sein, sich dem Tag zu stellen. Nachdem er seinen Kaffee heruntergeschlürft hatte, rasierte er sich, zog sich an und ging zur Arbeit. Der Schritt auf die Straße war die letzte Phase seines psychischen Entgiftungsrituals. Das Leben in Kalabrien war zwar keineswegs perfekt, doch die Geister und Dämonen, die ihn des Nachts quälten, fanden keinen Schlupfwinkel in diesem gnadenlos klaren Licht.
Der nächste Halt war ein Café mit Konditorei namens Dolci Idee. Die Vitrinen waren voll mit süßen Törtchen und Teilchen jeglicher Art, doch Naschhaftigkeit zählte nicht zu Zens Sünden. Er trank einen doppelten Espresso amaro und ging dann anderthalb Blocks auf einer der gitterförmig angelegten Straßen, die das Bild der Neustadt von Cosenza prägten, vorbei an der Kirche Santa Teresa, einer modernen Scheußlichkeit mit romanischen Ambitionen. Wenn die Verehrer der Heiligen mit dieser Kirche eine Art Statement abgegeben hatten, dann hatten diejenigen, die dem Staatskult huldigten, dem mit der neuen Provinzzentrale der Polizia di Stato ein ebenso eindrucksvolles und möglicherweise attraktiveres Statement entgegengesetzt. Sie stammte aus den achtziger Jahren, war ein breites und flaches Gebäude, das unterhalb des zweiten Stockwerks keine Fenster hatte und mit ockerfarbenen Metallplatten verkleidet war, die angeblich bombensicher waren. 59
Das Innere glich eher den Büros eines großen Wirtschaftsunternehmens als dem Inneren der grandiosen Prachtbauten der faschistischen Ära oder der recycelten Barock- palazzi , an die Zen gewöhnt war. Er versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, dass, wie das Sprichwort besagte, sich alles veränderte, damit alles so blieb, wie es war. Doch irgendetwas sagte ihm - und war das vielleicht der Grund für diese Albträume im halbwachen Zustand? -, dass sich tatsächlich etwas verändert hatte und dass in der neuen Ordnung der Dinge kein Platz mehr für Leute wie ihn war. Die meisten Zimmer waren Großraumbüros mit abgeteilten Kabinen, einem Flachbildschirm auf jedem Schreibtisch, kahlen Wänden, grauen Aktenschränken, mit Memos gespickten Korktafeln, gedämpftem Licht und Möbeln, die aussahen, als wären sie bei Ikea gekauft worden. Das Gebäude war zwar rein theoretisch klimatisiert, doch die Anlage brach ständig zusammen, und man konnte kein Fenster aufmachen.
Aufgrund seines Rangs hatte Zen ein Büro ganz für sich, in Einklang mit dem neuen Ethos der Transparenz, das bei der Polizei herrschte, allerdings nach innen hin mit Fenstern statt Wänden. Diese konnten jedoch mit Schnapprollos versehen werden, was in Zens Fall auch geschehen war, und die hielt er ständig geschlossen. An diesem Morgen lag auf seinem Schreibtisch eine Abschrift der Aufzeichnung, die das Digos-Team letzte Nacht von Nicola Mantegas Anruf bei einem gewissen Giorgio gemacht hatte. Interessant daran war nicht so sehr, was Mantega gesagt hatte, obwohl es sich verschwörerisch kryptisch anhörte,
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