Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
sondern wie er mit der betreffenden Person Kontakt aufgenommen hatte. 60 Ein angesehener notaio , der einen Alfa Romeo 159 Q4 fuhr und über drei Handys und zwei Festnetzanschlüsse verfügte - das wusste Zen, weil er für alle eine Überwachung angeordnet hatte -, telefonierte nicht nach Mitternacht von einer öffentlichen Telefonzelle aus, es sei denn, er hatte etwas zu verbergen. Mantega hatte ganz offenkundig den Verdacht, dass seine privaten und geschäftlichen Telefone abgehört werden könnten, aber er rechnete nicht damit, dass er selbst überwacht wurde. All das passte recht gut zu Zens Einschätzung von ihm als einem mäßig kompetenten Provinzadvokaten, der weit mehr über Newmans Verschwinden wusste, als er zugab.
Ein diskretes Klopfen an der Tür.
»Avanti ! «
Natale Arnone kam herein. »Hier sind die Unterlagen, die Sie haben wollten. Und unten am Empfang ist irgendein Ausländer, der den für den Fall Newman zuständigen Beamten sprechen will. Behauptet, der Sohn des Opfers zu sein.«
»In welcher Sprache?«
»Italienisch. Er spricht ziemlich fließend, kommt aber ein bisschen rozzo rüber. Laut und penetrant. Soll ich mich um ihn kümmern?«
»Ein etwas gereiztes Verhalten ist angesichts der Umstände wohl verzeihlich. Schicken Sie ihn rauf.«
Zen sah gerade die Papiere durch, die sich über Nacht auf seinem Schreibtisch angehäuft hatten, als Thomas Newman ins Zimmer geführt wurde. Nach Arnones Vorwarnung hatte Zen jemanden erwartet, der wie ein typischer amerikanischer Footballspieler aussah: großer zylindrischer Schädel, der direkt in breite Schultern überging, kein Hals, behaarte O-Beine und eine Stimme wie die Blechbläser einer Bigband aus den dreißiger Jahren auf ihrem absolut disharmonischen Höhepunkt. Stattdessen sah er einen schlanken, dynamischen jungen Mann vor sich. Viel stärker als seine eher mäßige körperliche Ausstrahlung war der Eindruck seines Gesichts, das an einen schelmischen Putto erinnerte und von dichten glänzenden Locken eingerahmt wurde, die lässig lang geschnitten waren. Zen lud seinen Besucher ein, Platz zu nehmen, und bedeutete Arnone, den Raum zu verlassen. Newman starrte auf den vollen Aschenbecher auf Zens Schreibtisch.
»Darf ich rauchen? Ich dachte, das wär mittlerweile verboten.«
»Ist es auch.«
»Aber Sie sind Polizist.«
»Genau.«
Sie tauschten einen Blick, und Zen spürte den unterschwelligen Kontakt mit einem anderen intelligenten Wesen.
»Was für eine wunderbare Stadt!«, begeisterte sich Newman. »Ich bin schon früh wach geworden wegen der Zeitverschiebung, und dann bin ich stundenlang nur herumspaziert. Das Licht, die Landschaft, die Gebäude, die Menschen - alles kam mir märchenhaft vor und trotzdem irgendwie vertraut.«
»Sie sind zu freundlich«, erwiderte Zen mit geschmeidiger Stimme. »Allerdings stimme ich Ihnen zu, dass Cosenza die attraktivste Stadt in Kalabrien ist - nicht dass die Konkurrenz besonders groß wäre. Doch Sie sind sicherlich voreingenommen, da Ihr Vater hier geboren wurde.«
Zen hatte bisher sehr wenig mit Amerikanern zu tun gehabt, doch die Plötzlichkeit, mit der Tom Newmans Stimmung umschlug, war ihm absolut vertraut.
»Sie sind nun schon der Zweite, der versucht, mir diesen Blödsinn weiszumachen!«
»War der Erste vielleicht Signor Nicola Mantega? Soweit ich weiß, hat er Sie letzte Nacht am Flughafen abgeholt.«
»Woher wissen Sie das?«
Zen betrachtete ihn neugierig. »Woher kennen Sie Signor Mantega?«
»Mein Vater hat den Namen erwähnt, als er mich in der ersten Woche von hier aus angerufen hat. Nachdem er verschwunden war, habe ich mir Mantegas Telefonnummer vom Büro meines Vaters geben lassen und ihn angerufen. Er war sehr hilfsbereit und entgegenkommend.«
»Das glaub ich gern«, sagte Zen lapidar. »Abgesehen von seiner persönlichen Verwicklung in diese Sache als Anwalt, könnte es durchaus sein, dass er als Vermittler fungiert, sobald die Verhandlungen um die Freilassung Ihres Vaters in Gang kommen.«
»Aber warum sollten die Entführer nicht direkt mit mir verhandeln? Ich kann genauso gut mit denen reden wie Signor Mantega.«
»Bei solchen Transaktionen wollen sie vermutlich jemanden haben, den sie kennen und dem sie vertrauen. Außerdem ziehen sie es vielleicht vor, im Dialekt zu reden. Der unterscheidet sich sehr stark vom Standarditalienisch und ist selbst mir unverständlich, doch viele gebürtige Kalabrier bevorzugen ihn, besonders in Momenten von großer Intimität oder
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