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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dibdin
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aussahen wie unzählige winzige Sonnen am Himmel, und Möbeln, die eindeutig weder von noch für menschliche Wesen gemacht worden waren. Die Luft war stickig und blau von Qualm, doch Maria störte das nicht. Ihr verstorbener Mann war ein starker Raucher gewesen, deshalb war er jetzt auch tot, und sie mochte den Geruch immer noch gern.
    Der Polizeichef stand höflich auf, als sie eintrat, forderte sie auf, Platz zu nehmen, während er ihren Begleiter wegschickte. Er war ein gut aussehender Mann, dessen Erscheinung an einen gewissen Typ Priester erinnerte: groß, hager, von unbestimmbarem Alter, mit adlerhaften Gesichtszügen, die auf den ersten Blick streng wirkten, doch einen Hang zu Nachsicht und Güte erahnen ließen, soweit er das mit den strengen Regeln seines Berufs würde vereinbaren können. Wäre sie fünfzig Jahre jünger gewesen, hätte Maria sich sofort in ihn verliebt. Doch wie die Dinge lagen, wollte sie ihn nur bemuttern, so völlig erschöpft und deprimiert sah er aus, als hielte er sich nur mit eiserner Willenskraft aufrecht, eine Eigenschaft, die sie selbst besaß und bei anderen schätzte. Einen Moment lang schämte sie sich beinahe, dass sie ihm noch mehr Probleme bereitete, indem sie verlangte, dass er ihr zuhörte. Dann rief sie sich ins Gedächtnis, auf welch unterschiedlichen Positionen der Machtskala sie standen, und unterdrückte all ihre Gefühle.
    »Ich habe einen sehr anstrengenden Tag hinter mir, signora «, sagte Zen knapp, »und kann leider nur wenige Minuten für Sie erübrigen. Es sei denn, natürlich, dass das, was Sie mir zu erzählen haben, für uns außerordentlich wertvoll und relevant ist.«
    Maria spürte, wie diese Herausforderung sie stark machte. »Es ist beides.«
    Zen breitete kurz wie ein Priester die Arme aus, um anzudeuten, dass er das beurteilen würde. »Fahren Sie bitte fort.«
    »Was ich zu sagen habe, betrifft den Mann, den man oben im alten Dorf tot aufgefunden hat. Neulich im Fernsehen sagten Sie, dass er ein Mitglied der Familie Calopezzati wäre. Das ist nicht wahr.«
    Zens ungemein konzentrierter Blick ließ darauf schließen, dass Maria bereits die erste der beiden Bedingungen erfüllt hatte, die er genannt hatte, um sein Interesse zu wecken.
    »Haben Sie irgendeinen Beweis für diese Behauptung?«
    »Ich war dabei, als es passierte.«
    Der Polizeichef sagte nichts, sondern saß einfach da und starrte sie mit diesen faszinierenden, unnachgiebigen Augen an. Kein Priester, dachte sie, ein Inquisitor.
    »Es war kurz vor Kriegsende. Ich war damals Dienstmädchen in la bastiglia im alten Dorf. Eine sehr niedrige Stellung, verstehen Sie. Ich musste die Bettwäsche waschen und bügeln, Staub wischen, fegen und putzen. Die persönlichen Bediensteten der Calopezzatis waren alles unverheiratete Söhne und Töchter aus verarmten Landadelsfamilien aus der Gegend, die gehörten einer ganz anderen Klasse an. Sie behandelten uns sogar noch schlimmer als der Baron selbst, um ganz ehrlich zu sein. Jedenfalls gab mich meine Familie dorthin in Stellung, wie ich bereits sagte, und es war hart für mich, besonders am Anfang. Ich wusste zwar, dass sie es tun mussten, weil wir zu viele zu Hause waren, aber es war trotzdem hart.«
    Zen legte den Kopf in die Hände und rieb sich die Augen.
    »Mi scusate, signore« , sagte Maria erschrocken. »Da fasele ich hier herum …«
    Zen sah sie mit einem verschlafenen Lächeln an und sagte dann etwas, das ihr Herz absolut dahinschmelzen ließ. »Nein, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Ich bin nur sehr müde. Reden Sie, so viel Sie wollen. Wenn ich das sagen darf, Sie haben eine wunderschöne Stimme. Wie Fisch.«
    »Fisch?«
    »Saftig, aber mit einem starken Rückgrat. Ich bin Venezianer, und das war als Kompliment gemeint. Meine Zeit spielt keine Rolle mehr. Erzählen Sie mir einfach mit Ihren eigenen Worten, was auch immer Sie mir erzählen wollen.«
    Lieber Gott, dachte sie, wo warst du, als ich Kinder haben wollte? Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln und daran zu erinnern, für welche Geschichte sie sich entschieden hatte.
    »Ich war einsam und verängstigt und freundete mich in dieser riesigen kalten Gruft, wo ich mich in den ersten Monaten in all den Fluren und Treppenhäusern so manches Mal verirrt habe, mit einem anderen Dienstmädchen an. Ihr Name war Caterina Intrieri. Ich war fünfzehn Jahre alt, sie war achtzehn. Wir kümmerten uns umeinander, das machte uns beiden das Leben ein bisschen leichter. Und eines Tages, in

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