Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
gelernter Koch bin. Ich habe in mehreren berühmten Restaurants in New York gearbeitet und inzwischen eine ziemlich gute Vorstellung davon, wie das Geschäft läuft. Deshalb kam ich auf die Idee, hier ein Restaurant zu eröffnen, allerdings - und hier hört sich die Sache vielleicht ein bisschen verrückt an - soll es ein amerikanisches Restaurant sein. Dort würde es Steaks, Rippchen, Hamburger, Salate …«
Er hielt inne, weil er merkte, dass Mantega nicht zuhörte. Einen Moment lang war Tom gekränkt, doch dann bemerkte er das allgemeine Schweigen. Alle Gäste in dem gut besuchten Restaurant hatten aufgehört zu reden und blickten auf etwas, das hinter ihnen war. Als er sich umdrehte, sah er einen uniformierten Polizeibeamten, begleitet von zwei weiteren Polizisten im Kampfanzug und mit Maschinenpistolen bewaffnet. Das Trio ging den Gang entlang und blieb an ihrem Tisch stehen.
»Nicola Mantega?«, fragte der Beamte.
»Ja.«
»Sie sind verhaftet. Kommen Sie mit.«
Aus irgendeinem Grund erwartete Tom, dass Mantega Theater machen würde, doch offensichtlich verstand und akzeptierte er die Spielregeln.
»Entschuldigen Sie diesen Unsinn hier«, sagte er zu Tom, als er aufstand. »Und machen Sie sich wegen der Rechnung keine Sorgen. Das geht schon in Ordnung.«
36
Drei Uhr, hatte der Polizeichef gesagt. An der Wand hing keine Uhr. Maria besaß keine Armbanduhr und würde sich auch ganz bestimmt nicht dazu herablassen, den ungehobelten Flegel am Empfangstisch zu fragen, der sie die vielen Stunden, die sie hier verbracht hatte, mit strengem Blick und einem verächtlichen Grinsen beobachtet hatte. Sie rollte das Einwickelpapier zusammen, in dem sie ihr frugales Mittagsmahl mitgebracht hatte, und steckte es in ihre Handtasche.
Zumindest war ihr anscheinend niemand gefolgt. Das war ihre größte Sorge gewesen, als sie am nächsten Tag wiederkommen musste. Die Familie hatte natürlich das übliche sinnlose Theater gemacht, doch Maria hatte erklärt, dass der Arzt, zu dem sie wegen des neuen Arthritismedikaments musste, am Vortag keine Zeit gehabt hätte, deshalb würde sie wieder hingehen und es noch einmal versuchen. Diesmal hatte ihr Sohn darauf bestanden, sie zu fahren, und sie hatte schließlich nachgegeben. Sie wollte jedoch nicht, dass er vor der Klinik parkte und auf sie wartete, deshalb behauptete sie, es könnte Stunden dauern. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass er weggefahren war, hatte sie fast das gleiche Spielchen getrieben wie am Vortag; allerdings war sie mit einigen anderen Buslinien in der Innenstadt herumgefahren, bevor sie schließlich den Rest des Weges zur Questura zu Fuß zurücklegte, mit vielen Finten und Ablenkungsmanövern. Einen Vorteil hatte man, wenn man in einem Bergdorf lebte: Man blieb agil. Trotz ihrer achtundsiebzig Jahre bewegte sich Maria immer noch schneller als die meisten dieser trägen Stadtbewohner, und sie hatte niemanden bemerkt, der hinter ihr hergelaufen war.
Kurz gesagt, es sah so aus, als wären ihre ausgeklügelten Vorsichtsmaßnahmen überflüssig gewesen. Höchstwahrscheinlich würde sich ihre Reise hierher als ebenso überflüssig erweisen, selbst wenn der Polizeichef sein Wort hielt. Vermutlich würde ihm nichts von dem, was sie ihm zu erzählen hatte, für das, was jetzt passierte, von Bedeutung erscheinen. Schließlich war das alles längst Geschichte, wie auch der Krieg. Schlimme Dinge waren passiert, doch die meisten Menschen hatten überlebt, wie sie das immer taten, und seitdem hatte sich die Welt weiterbewegt. »Du lebst in der Vergangenheit, nonna !« Mit dieser Bemerkung zog ihre Schwiegertochter sie gerne auf. Maria wusste, dass es stimmte, aber sie konnte nichts dagegen tun. Wo sollte sie sonst leben? Es gab keine andere Umgebung, in der praktisch ausgestorbene Lebensformen wie die ihre existieren konnten. Doch in der langen Zeit, die sie gestern und auch heute wieder gewartet hatte, hatte sie endgültig entschieden, was sie diesem Aurelio Zen erzählen würde. Es war eine Mischung aus Wahrheit und Lügen, doch die Lügen betrafen nur die Toten.
Lautes Absatzgeklapper kündigte das Erscheinen eines uniformierten Beamten an, der Marias Personalausweis prüfte und ihr dann erklärte, der Polizeichef sei jetzt bereit, sie zu empfangen. Sie fuhren zwei Stockwerke mit einem Fahrstuhl hinauf, dann gingen sie über einen langen Flur in ein schickes modernes Büro, so wie man sie im Fernsehen sah, mit unglaublich hellen Birnchen in der Decke, die
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