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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dibdin
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weniger darum, wie er seinen bedeutenden Kollegen, der jedoch trotz seiner derzeitigen Prominenz bereits den Höhepunkt seines Schaffens überschritten hatte, dastehen lassen wollte, als vielmehr darum, wie er selbst dabei dastand. Wenn er sich zu negativ anhörte, könnte man ihm beruflichen Neid vorwerfen und würde das - nicht ohne eine gewisse Berechtigung - auch tun.
    Schon in ihren weit zurückliegenden gemeinsamen Jahren in Padua hatte Pancrazi Fraschetti immer als ihm intellektuell unterlegen angesehen. Er brüstete sich damit genauso wenig wie mit der Tatsache, dass er der Größere von beiden war, doch letztlich war er derjenige gewesen, der sich ganz weit den Stiefel hinunter an die verdammte Universität von Cosenza begeben musste, um einen Lehrstuhl zu erhalten, während Fraschetti die Stelle in Turin bekommen hatte, für die sie sich beide beworben hatten, und außerdem auch noch zum Medienprof geworden war. Und warum? Weil der nur mäßig intelligente Schweinehund über mehr Verbindungen verfügte als ein Fernsprechamt und außerdem ein oberflächliches Talent für kurze, prägnante Zitate und leicht verständliche, populärwissenschaftliche Konzepte hatte - in diesem Fall war es die Idee, dass die frühen Römer keineswegs ein Gefühl für ihre Bestimmung oder gar eine in sich geschlossene Kultur gehabt, sondern einfach von Jahr zu Jahr vor sich hin gewurstelt hätten, was dann später von Autoren wie Livius aus imperialen PR-Zwecken zu einer ordentlichen Firmengeschichte bereinigt worden wäre.
    Achille Pancrazi hatte bereits vier Entwürfe für seine Rezension geschrieben und überarbeitet und fing gerade in einem geringfügig nuancierteren Tonfall einen fünften an, als das Telefon klingelte. Das Display zeigte, dass der Anrufer sein Sohn war. Trotz der Unterbrechung meldete er sich mit aufrichtig erfreuter Stimme.
    »Ciao, Manuele ! «
    Emanuele hingegen hörte sich besorgt an. »Ich möchte dir etwas zeigen, Dad. Kannst du sofort kommen?«
    »Wohin kommen?«
    »Zur Kapelle der Santa Caterina auf der Nebenstrecke nach Mendicino.«
    »Bist du da jetzt? Ich dachte, du und dein Freund wolltet den Tag in der Stadt verbringen. Hat er denn ein Auto?«
    »Frag nicht weiter, Dad, komm einfach. Bitte!«
    Mittlerweile klang Emanuele richtig verzweifelt. Pancrazi war der Meinung, dass er die Gegend um Cosenza »einigermaßen gut« kannte, wie er es ausdrücken würde, doch von dieser Kapelle hatte er noch nie etwas gehört, vermutlich irgendein neueres Heiligtum von rein lokalem Interesse und ohne jeden architektonischen Wert. Er hatte mal einem Kollegen gegenüber, dessen Spezialgebiet die frühe Neuzeit war, scherzhaft erklärt, er selbst litte an einer beruflichen Variante von Alzheimer. »Ich kann mir bis ins kleinste Detail alles merken, was vor der Eroberung von Konstantinopel passiert ist, aber an die letzten fünfhundert Jahre erinnere ich mich nur verschwommen.« Was um alles in der Welt konnten Emanuele und sein Freund an so einem Ort entdeckt haben, das es rechtfertigen würde, dass er »sofort« da hinausfuhr? Es war zwar charmant und schmeichelhaft, dass die beiden Jungs ihn und sein Interessengebiet in ihre Tagestour mit einbezogen, aber das Ganze ergab trotzdem keinen rechten Sinn.
    Die abendliche Rushhour war voll im Gang, und er brauchte fast vierzig Minuten, um zu dem Treffpunkt zu gelangen. Es handelte sich um ein kleines Gebäude, gedrungen und schäbig, das mitten im Nichts am Straßenrand stand. Weit und breit war kein Haus zu sehen. Es war allerdings auch kein zweites Auto zu sehen, was entweder hieß, dass der Treffpunkt nicht stimmte oder dass die beiden jungen Männer keine Lust mehr gehabt hatten zu warten. Achille beschloss, trotzdem einen Blick hineinzuwerfen, falls die Tür nicht abgeschlossen war. Das war sie nicht. Das Innere war keine Verbesserung gegenüber der dünn verputzten rauen Steinfassade, ein beengter Raum mit einigen Bankreihen vor einem kleinen Altar. Die wenigen Votivgaben waren alt und unleserlich, und die Luft roch modrig. Offensichtlich wurde die Kapelle nicht mehr regelmäßig benutzt. Er wollte gerade wieder hinausgehen, als die Tür hinter ihm zuknallte.
    »Drehen Sie sich nicht um, professò «, sagte eine Stimme. »Setzen Sie sich mit dem Gesicht zum Altar. Halten Sie Ihre Hände die ganze Zeit so, dass man sie sehen kann.« Ein raues Lachen. »Zum Gebet gefaltet, wenn Sie wollen.«
    Achille Pancrazi wusste sofort, was passiert war, doch sein erster

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