Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
jungem Menschen wichtig war, sehen wir nach Jahrzehnten voller Erfahrungen vielleicht anders. Wir müssen Einschränkungen und Begrenzungen akzeptieren, müssen auch das Schwierige, das uns das Leben aufgibt, tragen. Krankheiten, Abschiede, Krisen und private Katastrophen können unser Leben für immer verändern. Sie sind, wie der Tod, die Erinnerung daran, selbst die vermeintlich kleinen Dinge des Lebens wertzuschätzen und sie nicht einfach als selbstverständlich hinzunehmen. Auch ich habe erst begriffen, welch ein wertvolles Gut die Gesundheit ist, als ich krank war. Plötzlich wurde mein Körper, um den ich mich nie besonders gekümmert hatte, mein Verbündeter im Kampf gegen den Krebs. Bis heute bin ich stolz und dankbar dafür, was er gemeinsam mit mir erduldet hat, um ihn zu besiegen.
Wie oft hadern wir damit, dass andere es vermeintlich leichter haben, das Schicksal ihnen gnädiger gesonnen ist. Aber in unserem Leben geht es nicht um Glück oder Pech, sonst wäre es eine Lotterie und das Lebensziel 6 Richtige mit Zusatzzahl. Manches ist Vorgabe, anderes Fügung, in jedem Fall aber ist es unsere Aufgabe, die Herausforderungen, die uns begegnen, anzunehmen und zu bewältigen. Das gilt auch für den Tod. Das wird immer wieder Kraft und Überwindung kosten, sich am Ende aber lohnen, unserem Leben einen Sinn geben – und zwar jetzt und hier und heute.
Wenn wir am Ende also nicht zu denen gehören wollen, die wünschten, sie hätten es anders gemacht, dann sollten wir uns dabei an Professor Dumbledore aus Harry Potter erinnern: »Viel mehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.« 7
Lehrstunden
Erst kam der berühmte Schuss vor den Bug.
Zuvor war ich dumm, hernach war ich klug.
Robert Gernhardt
Mal ist ein Herzinfarkt der berühmte »Schuss vor den Bug«, dann wieder ein schwerer Unfall oder eine Krebserkrankung. Bei mir war es die Diagnose Brustkrebs. Mein Leben, mein Verhältnis zu Sterben und Tod, mein Umgang mit Krisen, das Gefühl, was wichtig und was unwichtig ist – das alles hat sich seitdem verändert. Und auch ich selbst bin nicht mehr die, die ich vorher gewesen bin.
Erst war da die Frage: Muss ich sterben? Wie viel Zeit habe ich noch? Und dann kam dieses quälende »Warum«? War das die Quittung für meine Fehler? Oder darf man vielleicht nicht ungestraft glücklich sein?
Eigentlich hatte ich mich völlig gesund gefühlt, als ich so unvermittelt mit meiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert wurde. Ein Ultraschallbild hatte von einem Augenblick zum anderen alles verändert. Die Zeit danach empfinde ich rückblickend wie in einem Sog – irgendwie wurde ich mitgerissen, konnte mich nirgendwo festhalten, wurde umhergewirbelt, hatte keinen festen Boden mehr unter den Füßen. Ich wurde zur Grenzgängerin zwischen Hoffnung und Verzagtheit, zwischen meinem alten Leben und dem Unbekannten, das vor mir lag.
Nach der Operation kam die Generalinventur, die Suche nach Metastasen – Lungenröntgen, Knochenszintigramm, Leber- und Bauch-Ultraschall. Und dann das Warten auf die Ergebnisse der Gewebeuntersuchungen. Ein Satz, den der Arzt fast beiläufig hatte fallenlassen, ging mir bei dieser Warterei wieder und wieder durch den Kopf. Auf meine Frage, wie denn meine Prognose sei, hatte er gesagt: »Wenn keine Lymphknoten befallen sind, dann sind die Chancen gut. Wenn sie befallen sind, dann sind sie nicht gut.« Als die Bestätigung kam, dass der Krebs gestreut hatte, brach alles über mir zusammen. Ich habe damals Tagebuch geführt, und wenn ich heute diese Seiten lese, dann spüre ich wieder dieses Gefühl der Angst und Wut und Hoffnungslosigkeit. Dann sind die Gedanken an den Tod wieder ganz nah.
Während der Chemo hing ich alle drei Wochen für jeweils fünf bis sechs Stunden am Tropf. Ich nahm an einer Studie teil, und meine Therapie war deshalb aggressiver als der damals übliche Standard. Beutelweise flossen die Zytostatika in meine Venen, eines der Präparate war giftig-rot. Diese grell leuchtende Farbe des Epirubicin, das sich eiskalt in meinem Körper ausbreitete, werde ich nie vergessen. Beim ersten Infusions-Zyklus ging es noch, ich fühlte mich nur matt und müde, ab dem zweiten war es eine Tortur: Übelkeit, stundenlanges Erbrechen, die Gliedmaßen bleischwer. Tagelang war ich völlig aufgedunsen, ich fühlte mich elend und schwerkrank. Auf der Seite, auf der das Gift in meinen Körper tropfte, brannten die Venen und machten irgendwann
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