Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
meine Perspektive, meine Sicht auf die Dinge und mein Leben verändert hat. Wie jeder Mensch bin ich ein Gewohnheitstier, jeder kennt Beteuerungen wie »das wird sich ändern«, sie gehen einem in einer Krise recht leicht über die Lippen. Ist die Krise vorbei, ist der alte Trott schnell wieder da. In solchen Situationen rufe ich mir die Frage in Erinnerung, die ich mir in der Hochphase meiner Krebserkrankung oft gestellt habe: Wäre mir das auf dem Sterbebett tatsächlich wichtig?
Diese Frage hilft mir noch heute, wenn ich in schwierige Entscheidungssituationen komme. Wenn ich aus den Augen verliere, was ich mir damals fest vorgenommen habe. Dass ich nämlich nicht mehr »everybody’s darling« sein, sondern vielmehr die Dinge vertreten möchte, von denen ich überzeugt bin. Ich möchte mich einsetzen für das, was mir wichtig ist, und dafür nehme ich in Kauf, auch mal anzuecken. Ich möchte das nicht als Rücksichtslosigkeit oder Egoismus verstanden wissen, auch wenn ich weiß, dass für meine Umgebung meine Impulsivität und Direktheit gelegentlich unverständlich und anstrengend sein mögen. Auch für mich sind solche Situationen nicht immer angenehm. Aber wenn ich für meinen Standpunkt nicht mehr eintrete, kann ich es dann eigentlich nicht gleich lassen? Jeder muss sich wohl die Frage stellen: Genügt es mir, einfach mitzumachen und meine Ruhe zu haben, oder will ich meinen Weg gehen, etwas bewirken, das umsetzen, an das ich glaube?
Eine Frage, die gleich die nächsten nach sich zieht. Denn wenn ich meinen Weg gehen will, muss ich wissen: Wer bin ich? Wer will ich sein? Was ist mir wichtig, und was kann ich dafür tun?
Als Kind und später auch als Jugendliche wollte ich schlicht alles. Und am besten sofort. Alles ausprobieren, keine Chance auslassen, so wie die australische Sängerin Lenka in ihrem Song Everything at once.
Solange wir jung sind, scheint das auch möglich. Keine Vernunft, kein Realitätssinn pfeift selbst die wildesten Gedanken zurück. Selbst wenn unsere Vorstellungen von der Zukunft im Laufe der Jahre klarer und realistischer werden, gibt es auch später immer noch eine Fülle von Möglichkeiten, die wir nur zu ergreifen brauchen. Wir könnten unser Leben ständig neu erfinden. Die Welt ist ein Spielplatz, eine Wundertüte, aus der unaufhörlich Chancen herauspurzeln. Wir müssten uns nur bücken, um sie aufzuheben. Nach Karl Jaspers ist die Zukunft »der Ort der Möglichkeiten und damit der Freiheit«. Nur, wie nutzt man diese Freiheit? Und wie erkennen wir sie überhaupt?
Ich habe es selbst und später auch bei meinen Kindern erlebt: Am Ende der Schulzeit hält das Leben so viele Einladungen bereit, so viele Türen stehen offen. Und da soll man sich für einen Weg entscheiden, soll alle anderen Türen zuschlagen? Soll wissen, was richtig ist und vor allem, was man wirklich selber will? Die Eltern warten mit oft unerwünschten Ratschlägen auf, Lehrer, Freunde, einfach jeder weiß, was gut und richtig für einen ist. Da ist es schwer, sich zu entscheiden. Noch dazu, wenn man so jung ist und vermeintlich alle Zeit der Welt hat.
Steve Jobs’ Rat an die Studenten der Stanford University war klar, als er mahnte: »Eure Zeit ist begrenzt, also vergeudet sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Seid nicht in Dogmen gefangen – das hieße, den Gedanken anderer zu folgen. Lasst nicht den Lärm fremder Meinungen eure eigene innere Stimme ersticken. Und vor allem: Habt den Mut, eurem Herzen und eurer Intuition zu folgen. Die wissen schon, was ihr wirklich werden wollt.«
Die »innere Stimme« ist ein sehr kluger und verlässlicher Ratgeber. Sie meldet sich immer, wenn wir uns für oder gegen etwas entscheiden müssen, wenn wir festlegen: Das ist richtig und das ist falsch. Wir haben nur verlernt, auf sie zu hören, vor allem in den Momenten, wenn sie etwas anderes sagt, als wir gerade hören wollen. Wir fangen an mit ihr zu diskutieren, Argumente zu finden, um sie zu widerlegen. Ich kann mich an viele Situationen erinnern, in denen meine innere Stimme mir sagte: »Lass das, es ist nicht gut für dich!« Und sie hatte jedes Mal recht – was ich vor allem immer dann gemerkt habe, wenn ich ihr nicht gefolgt bin.
Um sie zum Klingen zu bringen, könnten wir uns folgende Fragen stellen: Was hat in meinem Leben die größte Bedeutung? Wovon träume ich? Wovor habe ich Angst? Die Antworten darauf werden nie endgültig sein, sondern sich im Laufe unseres Lebens wandeln. Was uns als
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