Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
als traurigen, verstörenden, leidvollen, manchmal alles erschütternden Einschnitt im Leben. Aber gleichzeitig, das haben mir viele meiner Gesprächspartner beschrieben und das habe ich beim Abschied von meinen Eltern selbst erfahren, entsteht in genau diesen Phasen und Augenblicken eine emotionale Intensität, eine Verdichtung des Lebens, wie man sie sonst nur ganz selten erlebt. Hospizleiterin Barbara Schoppmann spricht von einem »Konzentrat von Leben«.
»Ob ich durch meine Arbeit die Angst vor dem Sterben verloren habe? Im Moment ja«, sagte mir die Frau, die seit 18 Jahren Menschen beim Sterben begleitet. »Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen werde, wenn es tatsächlich ernst wird. Aber ich habe fast jeden Tag Gelegenheit, mich auf diesen Weg vorzubereiten. Es mag schwülstig klingen«, erklärt sie vorsichtig, »aber ich glaube, die Sterbenden haben mich schon gelehrt, die Augen offen zu halten, das zu pflegen, worauf ich am Ende vertrauen kann, was mich stützen, halten und auffangen wird – meine Familie und mein Glauben, beispielsweise.« Für sie ist es ein Geschenk, in ihrer Arbeit mit Wesentlichem zu tun zu haben, wirklich gebraucht zu werden.
Wie viele Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, empfindet Barbara Schoppmann die Begegnung mit Sterben und Tod nicht als düster oder niederdrückend, sondern als eine existentielle Erfahrung, aus der irgendwann Hoffnung und Freude, Liebe, Dankbarkeit und Lebensweisheit wachsen kann.
Immer noch und immer wieder lernt auch die Palliativärztin Christine Schiessl von ihren Patienten. So ist ihr der Satz eines Mannes noch im Ohr, der ihr sagte: »Das Schlimmste ist gar nicht, dass ich sterben muss, sondern dass ich bisher noch gar nicht gelebt habe.« Diese Neubewertung des eigenen Lebens im Angesicht des Todes, die manchmal zu großer Enttäuschung über sich selbst führt, ist für die Medizinerin Ansporn und Auftrag zugleich, das Leben auszukosten und noch ganz viel auszuprobieren. Sie sei durch ihre Arbeit lebensfroher geworden, sagt Christine Schiessl.
Genau wie Hospizmitarbeiterin Barbara Schoppmann hat sie festgestellt, dass die Begegnung mit dem Tod vieles relativiert. Materielle Dinge seien ihr nicht mehr so wichtig. Stattdessen seien Fragen in den Vordergrund getreten, die sie selbst in ihrer persönlichen Entwicklung weitergebracht hätten: Warum bin ich eigentlich auf der Welt? Wer ist dankbar und froh, dass es mich gibt? Was tröstet mich? Wer fängt mich auf?
Trotzdem bleibt auch für sie der Tod eine Herausforderung, etwas Unfassbares, etwas, das manchmal Angst macht. Obwohl sie ihn fast täglich erleben, obwohl er ein ständiger Begleiter für sie geworden ist. »Wer wie wir ständig mit Tod und Sterben konfrontiert ist, der muss damit umzugehen lernen«, erklärt Christine Schiessl und verwendet ein Bild, das ihr eine ihrer Studentinnen einmal an die Hand gegeben hat: »Dann packe ich das alles in eine Schublade, und die mache ich ganz bewusst auf oder zu, denn ich glaube nicht, dass wir in der Lage sind, im ständigen Bewusstsein unseres Todes zu leben.« Als Feind allerdings sieht sie den Tod keineswegs: »Das wäre dumm, denn Feind bedeutet Kampf – und diesen Kampf würde ich immer verlieren.« Denn auf der Palliativstation wird, wie im Hospiz, gestorben, immer, fast jeden Tag. Wenn man sich der eigenen Sterblichkeit aber hin und wieder stellt, sich der Endlichkeit bewusst wird, kann er uns viel über den Wert des Lebens lehren.
Irgendwo habe ich einmal einen Satz gelesen, der das gut auf den Punkt bringt: »Die Lebenden schließen den Toten die Augen, die Toten öffnen sie den Lebenden.« Und tatsächlich: Wenn wir durch andere mit dem Tod Bekanntschaft machen, dann werden wir mit unserer eigenen Sterblichkeit konfrontiert, und das ist furchteinflößend, weckt alle Fluchtinstinkte. Aber es ist auch ein Geschenk, die Chance nämlich, unser letztes Ziel ins Visier zu nehmen. Wenn wir dem Tod nicht mehr aus dem Weg gehen, dann lernen wir, jede Begegnung mit ihm als eine Art Unterricht zu begreifen, dem wir aufmerksam folgen wollen, denn
jeder der geht,
belehrt uns ein wenig
über uns selbst
Kostbarer Unterricht
An den Sterbebetten.
Alle Spiegel so klar
Wie ein See nach großem Regen,
ehe der heutige Tag die Bilder wieder verwischt.
Nur einmal sterben sie für uns,
nie wieder.
Was wüssten wir je ohne sie?
Ohne die sicheren Waagen, auf die wir gelegt sind,
wenn wir verlassen werden.
Die Waagen, ohne die nichts sein Gewicht hat.
Wir,
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