Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
kann uns lehren, den wahren Wert dessen zu erkennen, das den Moment, uns selbst und unser Leben ausmacht. Sie gibt uns Gelegenheit, uns vorzubereiten.
Emotionales Aufräumen
Versöhnt euch wieder, bevor es Abend wird.
Brief an die Epheser 4, 26
Die Vorbereitung auf den Tod führt uns im nächsten Schritt aber noch ein Stück weiter. Und das ist etwas, das auch meiner Freundin Ava in der Beschäftigung mit ihrer eigenen Sterblichkeit deutlich wurde: Es ist wichtig, Klarheit in die Beziehungen zu den Menschen zu bringen, die uns am nächsten stehen. In ihrem Fall bedeutet das, ihrem Mann und ihren Kindern all das zu sagen, was unbedingt noch gesagt werden muss – für eine Zukunft ohne sie. Sie hat jedem von ihnen einen Brief geschrieben für die Zeit danach, und seit sie das getan habe, sagt sie, gehe es ihr viel besser.
Tatsächlich ist es neben der Regelung der äußeren, praktischen Umstände mindestens genauso wichtig, seelisch »aufzuräumen« und das Verhältnis zu Familie und Freunden zu klären. Das ist ein Prozess, der nicht nur die betrifft, die gehen, sondern auch jene, die zurückbleiben. Nur wenn Missverständnisse ausgeräumt, Konflikte benannt und Fehler zugegeben sind, ist ein Abschied in Ruhe möglich und können diejenigen, die weiterleben, den Verlust wirklich verwinden und einen Abschluss finden.
In der Endphase eines Lebens liegt die letzte Chance, mit sich und seiner Umgebung ins Reine zu kommen. Das heißt nicht, jetzt noch einmal die Konfrontation zu suchen, sich gegenseitig mit Vorhaltungen zu überhäufen, zum letzten Mal die gesamte schmutzige Wäsche zu waschen. Sondern um Verzeihung zu bitten und zu verzeihen. Vergebung, da sind sich Psychologen und Gläubige einig, ist eine erlösende Kraft. Nach jüdischem und christlichem Glauben soll der Sterbende die Gelegenheit haben, seine Sünden zu bereuen und Gott gegenüber zu bekennen: »So nimm meinen Tod als Sühne an, für alle meine Sünden, die ich getan, für alle Schuld, die auf mir lastet«, heißt es im jüdischen Schuldbekenntnis. Und bei den Katholiken gibt es die Möglichkeit, sich in der Beichte auszusprechen und Absolution zu erhalten. Das gilt auch für die vielleicht schwierigste Aufgabe – nämlich sich selbst zu verzeihen.
Schuldgefühle können nicht nur im Leben, sondern auch im Sterben großes Leid verursachen. Natürlich haben wir alle, wissentlich oder unbewusst, Dinge in unserem Leben falsch gemacht, haben andere gekränkt und verletzt. Niemand kann solche Fehler ungeschehen machen, aber indem man sie benennt, findet man Erleichterung und erkennt den Schmerz und die Kränkung des anderen an. Um Vergebung zu bitten oder zu verzeihen ist keine leichte Übung, vor allem, wenn es um Dinge geht, die einer der Betroffenen für unverzeihlich hält. Aber: Vergebung ist eine Befreiung, nicht nur für den, dem vergeben wird, sondern auch für den, der vergibt. Sie entbindet uns von all dem Zorn, dem Groll und der Verbitterung, die wir empfinden, wenn wir uns ungerecht behandelt und verletzt fühlen. Deshalb ist Vergebung eine der Grundvoraussetzungen, um loslassen zu können. Und Psychologen, Sterbebegleiter und Palliativmediziner halten es für einen besonderen Dienst, Sterbenden dabei zu helfen. Die Phase des Abschieds ist nicht die Zeit für selbstgerechtes Beharren auf den eigenen Standpunkten, sich trotzig an alte Verletzungen zu klammern – es ist vielmehr die letzte Gelegenheit, etwas loszulassen, das auch wir, die zurückbleiben, sonst weiter als Ballast mit uns schleppen.
»Wenn Sie jemanden bemitleidet oder gehasst haben und zur Kenntnis nehmen, dass er verstorben ist: was machen Sie mit Ihrem bisherigen Hass auf seine Person beziehungsweise mit Ihrem Mitleid?« 12 , fragt Max Frisch in seinem Fragebogen zum Thema Tod. Was wäre unsere Antwort? Was tun wir mit all den ungeklärten Gefühlen, wenn es Klärung nicht mehr geben kann? Wir sollten uns rechtzeitig darüber Gedanken machen.
Letzte Ziele setzen
Eigentlich ist alles nichts,
heute hält’s und morgen bricht’s,
hin stirbt alles, ganz geringe
wird der Wert der ird’schen Dinge;
doch wie tief herabgestimmt
auch das Wünschen Abschied nimmt,
immer klingt es noch daneben:
Ja, das möchte ich noch erleben.
Theodor Fontane
Eine weitere Übung in der Vorbereitung auf den Tod ist es, sich Ziele zu setzen. Der Mensch braucht Wünsche, Pläne und Hoffnungen – bis zuletzt. Das gibt uns Kraft, Dinge auszuhalten, die schwer zu ertragen sind, und
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