Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
Auseinandersetzung mit dem Tod, über den Mozart 1787 in einem Brief an seinen Vater schrieb: »… da der Tod … der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freund des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel beruhigendes und tröstendes«.
Wir begegnen dem »wilden Knochenmann« auch in Schuberts Lied »Der Tod und das Mädchen«. Als das Mädchen den Tod anfleht, vorüberzugehen, antwortet der: »Bin Freund und komme nicht zu strafen … sollst sanft in meinen Armen schlafen.« Der Text von Matthias Claudius geht eine ergreifende Verbindung mit Schuberts Musik ein. Und auch für Bach, der seine erste Frau und drei seiner Kinder verlor, war der Tod ein ständiger Begleiter: »Liebster Gott, wenn wird ich sterben? Meine Zeit läuft immer hin«, heißt es in seiner Kantate Nr. 8 – er stellte damals schon die gleichen Fragen, die uns heute auch bewegen. Selbst in der modernen Popmusik geht es immer wieder um Sterben und Tod. Mich hat zum Beispiel Herbert Grönemeyers Song »Der Weg« durch die dunkle Zeit meiner Krebserkrankung begleitet. Grönemeyer schrieb ihn vier Jahre nach dem Tod seiner Frau. Ihr ist dieses Lied über die Trauer und das Verdrängen gewidmet, über das lange Hadern mit dem Tod, den man am Ende doch akzeptieren muss. Das Tröstliche lag für mich in der Zeile »Ich trage dich bei mir, bis der Vorhang fällt«. Wenn ich sterbe, bleibe ich in den Gedanken, in den Herzen derer, denen ich etwas bedeutet habe, lebendig. Das sind die Spuren, die wir hinterlassen.
Wenn wir uns darauf einlassen, wird jeder von uns sein Musikstück, sein Bild, seine Landschaft finden, die ihm dabei hilft, sich dem Schmerz des Abschieds und Verlusts zu nähern, den Tod zu üben, auch wenn er vermeintlich noch weit weg ist.
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Für meinen Vater war sein wichtigstes »Übungsfeld« die Literatur, ohne Bücher konnte er nicht sein, sie waren für ihn ein »Lebensmittel«. Das war schon so, lange bevor er wusste, dass sein Leben zu Ende ging. Als sein Arzt ihm aber sagte, dass der Krebs wiedergekommen war und metastasiert hatte, dass eine Operation keine Option mehr sei und ihm nur eine Chemotherapie noch ein bisschen Zeit verschaffen könnte, warf er sich mit all seiner verbliebenen Kraft in diesen Wettlauf gegen die Zeit. Er quälte sich durch Chemotherapien, ergab sich geduldig der Schwäche, die ihn nach jeder Infusion befiel, nur um sich danach wieder auf seine Bücher zu stürzen. Zuletzt, als er kaum noch vor die Tür gehen und praktisch nichts mehr unternehmen konnte, da waren sie seine ganze Welt, waren ihm Stütze und Trost und Wegweiser bis ganz zum Schluss.
Er las stundenlang jeden Tag. Alles: Romane, Gedichte, die alten Philosophen. »Philosophieren heißt sterben lernen« heißt es schon bei Platon und später bei Montaigne – und genau damit, glaube ich, hat mein Vater seine letzten Jahren verbracht: Er hat Sterben gelernt. Für uns beide war seine Lektüre auch immer ein Anknüpfungspunkt, um den Gesprächsfaden aufzunehmen. Ich wollte nicht jedes Mal fragen: Wie geht es dir? Wie hast du geschlafen? Was machen die Schmerzen? Und er wollte nicht immer nur über seine Krankheit sprechen, über Medikamente, den nächsten Arztbesuch. Also fragte ich ihn manchmal einfach: »Was liest du grade?« Wenn er mir dann von diesem oder jenem Buch, von Neuentdeckungen oder alten Schätzen erzählte, entspannen sich oft wunderbare Gespräche.
Bücher können uns mit auf Reisen zu den erstaunlichsten Orten nehmen, manchmal zu ganz fernen, ungewöhnlichen und fremden, aber auch zu tief vertrauten Gedanken. Schriftsteller, Dichter und Philosophen haben die Gabe, uns dorthin zu führen und in Worte zu fassen, was eigentlich unfassbar ist. »Es ist die einzige Reise, von der man nicht mit leeren Händen zurückkehrt, die Reise nach innen. Im Innern gibt es keine Grenzen und keinen Zoll, man kann sogar zu den fernsten Sternen gelangen. Oder an Orten spazieren gehen, die nicht mehr existieren, Menschen besuchen, die nicht mehr sind. Sogar Orte aufsuchen, die es nie gegeben hat und vielleicht auch nie geben konnte«, 10 schreibt Amos Oz in Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, einem der vielen Bücher, die mein Vater mir mit den Worten in die Hand gedrückt hat: »Das MUSST du lesen!«
Zum letzten Lesestoff, den ich ihm mitgebracht habe, gehörte übrigens ein Roman über das Lesen, Die
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