Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
gelegentlich gesehen und bei den wenigen kurzen Besuchen waren ihm die Stapel von Papier gar nicht so aufgefallen. Als es nun darum ging, in relativ kurzer Zeit die Wohnung aufzulösen, bedeutete das nicht nur, sich von vielen vertrauten Gegenständen zu trennen und das Leben seines Vaters gewissermaßen zu entsorgen, es galt vor allem auch, den Nachlass zu regeln. Aber nichts war zu finden. Alle Ordner, von der Mutter vor Jahren noch ordentlich beschriftet, waren in katastrophalem Zustand, jahrelang war hier nichts mehr abgeheftet worden, wichtige Unterlagen waren einfach unauffindbar. Weil trotzdem alles irgendwie schnell über die Bühne gehen sollte, hatte der Freund alle Papiere und Unterlagen kurzerhand in Kisten gepackt und mit zu sich nach Hause genommen, hatte dort sukzessive alles gesichtet, jeden einzelnen Schnipsel in die Hand genommen. Monate habe es gedauert, erzählt er, sich durch das Chaos durchzuarbeiten, das Finanzielle zu regeln und diese ganze Angelegenheit abzuschließen. Oft habe er dagesessen, mal voller Wut auf den Vater, der ihm dieses wüste Durcheinander hinterlassen hatte, dann wieder voller Selbstvorwürfe und Traurigkeit darüber, dass er seinen Vater in diesem Zustand völliger Überforderung im Stich gelassen hatte.
Es passiert wohl sehr häufig nach einem Todesfall, dass die Angehörigen keinen blassen Schimmer davon haben, wo wichtige Unterlagen, Schmuck oder alte Familien- und Erinnerungsstücke zu finden sind. Waren die Verstorbenen dement, entdeckt man ein Sparbuch auch schon mal im Tiefkühlfach oder ein kostbarer Ring taucht nie mehr auf, weil er beim Ausräumen mit alter Kleidung oder vermeintlichem »Krempel« versehentlich weggeworfen wurde.
Aber nicht nur ältere Menschen sollten deshalb frühzeitig ihre Dinge regeln und beispielsweise festhalten, wo was zu finden ist. »Ich erinnere mich an einen Vater, der drei Kinder im schulpflichtigen Alter hatte und sich mit einer Krebsdiagnose konfrontiert sah, die ihm keine Zeit mehr ließ, seine Dinge zu regeln. Er hat den Tod noch auf seinem Sterbebett mit der ganzen Kraft seines geschwächten Körpers bekämpft, hat sich aufgelehnt, sein Bett regelrecht durchpflügt in seiner Weigerung zu sterben«, erzählte mir die Hospizmitarbeiterin Barbara Schoppmann von einem Mann, den sie auf seinem letzten Weg begleitet hatte. »Vielleicht ist das nur meine Interpretation, aber ich glaube, er konnte nicht gehen, weil er seine Familie nicht im Stich lassen wollte. Der Tod kam für ihn einfach zu früh. In jeder Hinsicht.«
Menschen, die wissen, dass sie nur noch begrenzte Zeit zu leben haben, gehen mit diesen »Baustellen« ganz unterschiedlich um. Manche sprechen mit dem Bestatter, machen ihr Testament, reden mit der Familie, sagen den Kindern, wo wichtige Dokumente zu finden sind. Sie spielen alle Eventualitäten durch und versuchen alles abzusichern. Andere wollen nichts davon hören. Ihre Bewältigungsstrategie ist es, die Augen vor dem, was ihnen bevorsteht, zu verschließen und so zu tun, als wäre nichts. Sie wollen das Leben bis zum letzten Moment auskosten und nicht schon etwas vorwegnehmen, was sie zu sehr an den Tod erinnert.
Aber es gibt tatsächlich gute Gründe, Vorsorge zu treffen, und zwar nicht erst, wenn man den Tod unmittelbar vor Augen hat. Fangen wir bei den materiellen Dingen an:
Nach dem Tod eines nahen Angehörigen brechen in Familien manchmal heftige Konflikte auf, die lange unbemerkt geblieben sind. Auch ich habe in meinem Umfeld erlebt, dass über Jahre scheinbar harmonische Beziehungen diese Nagelprobe nicht bestanden haben. Dass über den Tod, vor allem des letzten Elternteils, Konflikte aufgebrochen sind, deren Heftigkeit vorher keiner auch nur geahnt hätte.
Meine Freundin Gine hatte ihren schwerstbehinderten Vater jahrelang gepflegt, war sogar zu ihm gezogen, hatte Persönliches und Berufliches hintangestellt. Sie hatte Handstände gemacht, wenn sie mal für ein paar Tage wegmusste, und mit einem Pflegedienst alles bis ins Detail organisiert. Nächtelang hatte sie am Bett ihres Vaters gesessen, ihn zuletzt gewindelt und gewaschen und es manchmal kaum noch ausgehalten. Ich kann mich an verzweifelte Telefonate mit ihr erinnern, wenn sie zerrieben zwischen Beruf und Pflege am Ende ihrer Kräfte war. Der Bruder wohnte weiter weg, hatte eine eigene Familie und sich deshalb weniger kümmern können. Gine hatte das akzeptiert und den Bruder ganz selbstverständlich auch auf die Entfernung in alle
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