Sterben Sie blo nicht im Sommer
die Narkose nicht vertragen und spielt gerade mal ein bisschen verrückt. Dann hat einer sein Essen stehen lassen oder er trinkt nichts. Einer hat plötzlich Bluthochdruck. Irgendwas ist immer. Ein Problem ist auch, dass die Ärzte kaum noch Zeit haben, mit den Angehörigen oder den Patienten zu sprechen. Wir aber sind nicht autorisiert, Auskunft zu geben. Besonders am Telefon ist das manchmal heikel.
Sprechen Ärzte nicht gern mit Angehörigen?
Sie haben kaum Zeit dazu. Ihnen geht es ja nicht anders als uns Krankenschwestern. Auch bei ihnen ist der Druck gewachsen: mehr Fallzahlen, mehr Aufwand. Eigentlich brauchen wir einen Arzt, der nur für Angehörige zur Verfügung steht.
Verstehen Sie, wenn Patienten und Angehörige da auch mal energisch einfordern, was eigentlich selbstverständlich sein sollte?
Ich habe Verständnis dafür, dass manche nicht zufrieden sind, weil so vieles auf der Strecke bleibt. In erster Linie ja auch das Gespräch. Allerdings, wenn jemand klingelt, weil er das Kissen aufgeschüttelt haben möchte, obwohl er das selbst tun könnte, ich finde, das geht zu weit. Es ist sicher ein sehr schmaler Grat zwischen berechtigten und überzogenen Ansprüchen. Meine Erfahrung ist aber, dass die meisten Patienten Rücksicht nehmen und voller Hochachtung dafür sind, was wir leisten.
Uns wurde oft gesagt, dass man richtig Ärger machen muss, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Um in dieser endlosen anonymen Patientenkarawane nicht unterzugehen. Ist da was dran?
Einmal sind Patienten keine anonyme Masse. Und: Man kann auch mit Freundlichkeit sehr viel erreichen. Wir tun ja unser Möglichstes, und oft noch darüber hinaus. Dafür will man sich dann nicht noch beschimpfen lassen oder unterstellt bekommen, man sei nicht am Wohl des Patienten interessiert. Die Patienten erkennen durchaus an, was wir leisten, und sie bedanken sich oft gerade dafür, wie wir unter diesen ja wirklich schwierigen Bedingungen dennoch eine so gute Arbeit abliefern. Wenn manches etwas länger dauert, dann sind ja nicht wir die richtige Ansprechperson, sondern der Vorstand.
Aber der läuft nun mal leider sehr selten einfach so in den Klinikgängen herum …
Er wird wissen, warum.
Was können Angehörige noch sehr gut, außer den Betrieb aufzuhalten?
Angehörige haben so viele wichtige Aufgaben. Sie kennen den Patienten ja sehr viel besser als die Ärzte oder die Schwestern. Sie wissen viel früher, wenn etwas nicht stimmt. Sie können dem Patienten viel Stabilität geben und das Gefühl, aufgehoben zu sein, nicht allein. Sie können auch viele Dinge übernehmen, für die wir ja immer weniger oder gar keine Zeit haben. Zum Beispiel darauf achten, dass genug getrunken wird, oder dem Kranken einfach Gesellschaft leisten. Angehörige sind ganz wichtig. Aber auch das macht mir Angst: Was ist, wenn ich später einmal selbst in die Situation komme? Wenn dann niemand da ist, der das für mich tut? Wir Krankenschwestern schaffen das jetzt schon nicht. Obwohl: Letzten Monat gab es das erste Mal seit Jahren einen Tag, an dem einmal weniger zu tun gewesen ist. Da habe ich dann bei einer älteren Patientin gesessen und sie gefüttert. Wir haben uns unterhalten. Das war einfach schön. Da wusste ich, das ist eigentlich ein ganz wunderbarer Beruf.
Warum wechseln Sie nicht einfach die Stelle? Das Krankenhaus?
Ich habe noch einen Vertrag, wie er heute gar nicht mehr angeboten wird. So traurig mein Einkommen ist, aber selbst das wird heute noch unterboten. Sowohl was den Verdienst anbelangt als auch andere Konditionen wie etwa Laufzeit oder Urlaubsanspruch. Wenn ich woanders neu anfangen würde, dann unter sehr viel schlechteren Vorzeichen. Das kann ich mir einfach nicht erlauben. Ich habe schließlich zwei Kinder zu versorgen.
Widersprechen – grundsätzlich!
Laut einer Studie der Unternehmensberatung A. T. Kearney [85] sollen Ärzte mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit allein mit Verwaltungsaufgaben verbringen. Als Angehörige eines kranken Menschen kann man da locker mithalten. Statt an seinem Bett zu sitzen, seine Hand zu halten, ihn zu umarmen, ihm das Kissen aufzuschütteln, aus der Zeitung vorzulesen, die Stirn zu kühlen, im etwas zu trinken anzureichen oder einfach bloß neben ihm zu sitzen und ihn anzuschauen, weil es so ein unfassliches Glück ist, ihn noch bei sich zu haben, verbringt man ganze Tage in einem undurchdringlichen Bürokratiedschungel, in dem sich die Hürden als ähnlich fruchtbar erweisen wie der Deutsche
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