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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kleis
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Rammler. Ja, es gibt unendlich viele Hilfsangebote und Beratungsmöglichkeiten. Ein ganzer Wirtschaftszweig lebt davon, desorientierten Angehörigen die letzten Strohhalme anzureichen. Die meisten aber haben kaum mehr Nutzwert als eine Tortillapresse. Fehlt nur, dass einer »Ätschibätschi!« sagt, so kindisch und offensichtlich sind die Irrfahrten durch diesen Verwaltungsalbtraum dazu gedacht, ins Nichts zu führen.
    Meine Schwester und ich fühlten uns schon aus beruflichen Gründen bestens vorbereitet für Behördenwahnsinn aller Art. Ich bin Journalistin und sie IT -Expertin. Beide sind wir trainiert in Internet-Recherchen und allgemeiner Informationsbeschaffung. Wir sind berüchtigt für unsere Geduld, und wir können uns unsere Arbeit weitgehend selbstständig einteilen (allerdings erledigt sie sich auch nicht von selbst. Was wir tagsüber nicht mehr schaffen, müssen wir eben abends erledigen oder im Zug oder auf dem Krankenhausflur zwischen zwei Bestrahlungsterminen). Perfekte Voraussetzungen, um den Verwaltungsaufwand einer tödlichen Krankheit nebenbei abzuwickeln. Dachten wir. Doch die organisatorischen Anforderungen sind derart groß, als sollten wir für das Glioblastom IV eine Welttournee organisieren. An manchen Tagen führe ich manchmal mehr als fünfzehn Telefonate, schreibe zig Mails. Meist geht es nur um Kleinigkeiten, die aber in der Summe großes Gewicht erlangen. Besonders, wenn einem Selbstverständlichkeiten mit einer Beharrlichkeit verweigert werden, als hätte man um eine Nierenspende angefragt. Im Prinzip verhält es sich wie in diesem Witz: Treffen sich zwei Männer auf der Straße. Fragt der eine den anderen: Wie geht es dir so? Sagt der andere: Nicht so doll. Meine Frau nervt mich gewaltig. Sagt der erste: Wieso denn? Ach, ständig will sie Geld. Wie viel gibst du ihr denn? Na, gar nichts!
    Es gibt Dinge, die beschäftigen uns ›nur‹ einen Tag. Andere wiederum begleiten uns von Anfang an. So wie die Sache mit der Teil-Prothese. In der Reha erst war bei der Aufnahme-Untersuchung aufgefallen, dass meiner Mutter oben rechts vier Zähne fehlen. Bis dahin hatte sie ja stets einen Beatmungsschlauch im Mund. Danach konnte sie ohnehin nichts essen und wir waren mit anderen Dingen beschäftigt. Kurz: Niemand hatte bemerkt, dass ihre Teilprothese vor der Operation noch da und nach der Operation verschwunden war. Es ist nur eine Teilprothese. Man sollte keine große Sache draus machen. Doch sie wird mit jeder Woche größer. Meine Mutter soll nun das Kauen und Schlucken wieder lernen. Dabei wären ein paar Zähne mehr nützlich. Außerdem sieht es besser aus, wenn ALLE Zähne da sind, wo sie hingehören. Ich fahre also in die Klinik, in der meine Mutter operiert wurde, und klappere alle drei Stationen ab, auf denen meine Mutter gelegen hatte: Aufnahme, Intensiv, Überwachung. Niemand hat die Prothese gesehen. Keiner kann sich erklären, wo sie geblieben ist. Außer, das sagen alle, vermutlich auf der anderen Station, der, auf der ich gerade nicht nachfrage. Ich setze mich mit der Rechtsabteilung der Klinik in Verbindung, um die Regress-Frage zu besprechen. Man will die Sache prüfen. Da das vermutlich länger dauert, als wir alle leben, wollen wir in Vorkasse gehen. In dem Ort, in dem meine Mutter zur Frührehabilitation ist, rufe ich einen Zahnarzt an. Ich will ihn dazu bewegen, zu meiner Mutter in die Klinik zu kommen und mit den Arbeiten für eine neue Teilprothese zu beginnen. Ich hätte auch fragen können, ob Herr Doktor mir ab morgen den Haushalt führt.
    Bald ergibt sich eine neue Gelegenheit. Meine Mutter soll genau in der Klinik, in der sie operiert worden war, auch bestrahlt werden und das Krankenhaus verfügt über eine Zahnklinik. ›Perfekt!‹, denke ich und dass es nach dem Verursacherprinzip nur recht und billig wäre, wenn man sich dort um das Problem kümmert, wo es entstanden ist. Ich rufe den zuständigen Anwalt in der Rechtsabteilung an. Mein erstes Telefonat an dem Tag. Er ist sehr freundlich und sagt, das könne ich gern probieren. Aber er lässt keinen Zweifel daran, dass dieses Ansinnen aussichtslos ist. Ich telefoniere mit der Zahnklinik. Warum sollte nicht ein Zahnarzt in die Strahlenklinik kommen und tun, was getan werden muss? »Wie denken Sie sich das!«, bestaunt die Frau am anderen Ende der Leitung meine Naivität. »Das geht gar nicht.« »Und wenn meine Mutter gebracht wird?« »Das haben wir noch nie so gemacht.« »Aber sonst spricht nichts dagegen, es zu

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