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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kleis
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Rechnung an die Krankenkasse schicken.
    Sie sind verwirrt? Dann sagen Sie Ihren Lieben, sie sollen gefälligst gesund bleiben, und wenn sie schon unbedingt sterben wollen, einfach tot umfallen oder sich an einem Flugzeugabsturz irgendwo über dem Atlantik beteiligen.
    Das ist der einzige Fluchtweg aus diesem Gesundheits-Bürokratie-Irrsinn. Mag sein, dass am Anfang einmal die schöne Idee stand, dass es gut sei und übersichtlicher, den Menschen aus der Willkür eines einzigen Sachbearbeiters zu befreien und den Patienten in zig verschiedene Vorgänge und Anträge zu fragmentieren, seine jeweiligen Belange auf verschiedene Zuständigkeiten zu verteilen. Entstanden ist der absolute Stillstand und gleichzeitig eine munter sprudelnde Fehlerquelle. Charles Dickens hat in seinem Roman »Little Dorrit« ähnliche Vorgänge beschrieben und dafür das »Circumlocation Office«, das »Amt für Umschweife« erfunden. Er schreibt: »Wenn noch eine Pulververschwörung eine halbe Stunde vor der Zündung des Streichholzes entdeckt worden wäre, wäre niemand befugt gewesen, das Parlament zu retten, bis das Amt für Umschweife eine halbe Stiege von Gremien, ein halbes Scheffel von Protokollen, mehrere Säcke voll offizieller Aktennotizen und eine Familiengruft ungrammatischer Korrespondenz produziert hätte.« Vermutlich hatte Charles Dickens, bevor er das schrieb, versucht, ein Pflegebett zu organisieren.
    »Das ist kein Problem!«, hieß es noch in der Klinik. Alles, was wir für die häusliche Pflege benötigten, würde direkt von den Sozialarbeiterinnen beantragt werden. »Wundern Sie sich nicht, wenn das Sanitätshaus sich erst ganz kurzfristig wegen der Lieferung mit Ihnen in Verbindung setzt. Vielleicht sogar erst einen Tag bevor Ihre Mutter nach Hause kommt. Das ist nicht ungewöhnlich.« Mein Vater, der nicht gern etwas dem Zufall überlässt, ruft dennoch im Sanitätshaus an. 24 Stunden bevor meine Mutter eintreffen soll, erfahren wir, dass wir auf das Pflegebett mit dem vertrauensbildenden Namen »Teutonia II « verzichten sollen. Wir haben keinen Anspruch. Für meine Mutter wurde vorläufig Pflegestufe I festgelegt, bis der Medizinische Dienst endlich Zeit gefunden hat, einen Antrag auf eine höhere Pflegestufe zu prüfen. Damit besteht von Amts wegen keine Notwendigkeit für »Teutonia II «. »Ihre Mutter hat doch sicher ein Bett«, sagt der Mann von der Krankenkasse am Telefon. »Natürlich hat sie ein Bett« , antworte ich, »wir haben sie ja nicht im Körbchen aufbewahrt. Aber ihr Bett steht in der ersten Etage. Meine Mutter kann keinesfalls dorthin transportiert werden. Die Treppe ist viel zu schmal. Wir werden sie im Erdgeschoss pflegen. Und sagen Sie jetzt nicht: Wir könnten das Bett ja auch dorthin stellen. Es ist für eine Schwerstkranke nicht geeignet. Zu niedrig, ohne bewegliche Kopf- und Fußteile, ohne Gitter. Meine Mutter wird herausfallen und wenn nicht, wird sie sich wundliegen.« »Solange keine entsprechende Pflegestufe vorliegt, werde ich nichts tun können«, bleibt der Sachbearbeiter unbeeindruckt. »Aber Sie haben uns auch Windeln zuerkannt, Größe L. Was denken Sie, weshalb die bewilligt wurden? Für eine kleine Inkontinenz-Party mit den Nachbarn? Als Hüpfburg für die Enkelkinder?« Er ist eingeschnappt. Er könne nicht anders. Die Vorschriften. Nach endlosen Telefonaten und einigen Mails an Krankenkasse und Sanitätshaus erfahre ich endlich, dass wir »Teutonia II « vorläufig selbst anmieten und uns den Betrag später – bei Feststellung einer Pflegestufe – erstatten lassen können. Sollte sich allerdings herausstellen, dass meine Mutter eigentlich kerngesund ist und wir unter einem ziemlich bizarren Humor leiden, in dem Pflegebetten und Windeln eine Hauptrolle spielen, müssten wir die Mietkosten für das Bett komplett übernehmen.
    Ich frage mich: Was wäre, wenn meine Eltern kinderlos wären? Was ist, wenn wir einmal so alt sind und so krank? Werden wir die Kraft und die Hartnäckigkeit haben, uns halbe Tage und ganze Wochen lang durch das Zuständigkeitenlabyrinth zu telefonieren? Endlose Mail-Korrespondenzen zu führen? Vor »Das haben wir noch nie so gemacht«, »Das ist unmöglich«, »Wir können uns doch hier nicht einfach über die Vorschriften hinwegsetzen« nicht kapitulieren? Nicht zu resignieren angesichts der meiner Meinung nach überhaupt schlimmsten Variante des Wegduckens – vorgetäuschte Anteilnahme bei gleichzeitiger zielsicherer Platzierung eines Nierenhakens:

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