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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kleis
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Hirngewebe ausgeschwemmt und so der Druck reduziert. Sanft gleitet meine Mutter nun in einen Tiefschlaf, der aussieht, als wäre er ganz normal. Wir fahren nach Hause mit einem Gefühl, als hätten wir gerade eine dieser Katastrophenübungen absolviert, die auf Flughäfen oder Kreuzfahrtschiffen stattfinden. Bloß dass man keinerlei Trainingseffekt spürt. Mag sein, dass man für das Leben lernen kann, für das Sterben definitiv nicht.
    Meine Mutter erinnert sich am nächsten Tag an nichts. Wir absolvieren den täglichen Ausflug zum Bestrahlungsraum. Diesmal schiebt ein Student das Bett. Da ich mittlerweile zum Alleinunterhalter mutiert bin, in dem festen Willen, überall nur in allerbester Erinnerung zu bleiben und meine Mutter so gut wie möglich von allem abzulenken, was ihr gerade widerfährt, scherzen wir den ganzen, weiten Weg bis zum Bestrahlungsraum. Darüber, dass der Tumor ihr so viele attraktive junge Männer ans Bett spült, als würde er nebenberuflich in einer Partnervermittlung arbeiten. Das funktioniert leider nur, bis wir warten müssen. Meine Mutter hat Angst vor dem leeren Saal, der bis auf den letzten Quadratzentimeter vollgestopft ist mit Einsamkeit. Über eine Kamera kann ich sie von der Steuerungszentrale aus sehen. Es ist, als würde man durch ein Teleskop einen weit entfernten Planeten betrachten. Meine Mutter wird mit der Maske auf der Liege festgeknöpft, damit sie sich bloß nicht bewegt und die Strahlenkanone sie punktgenau beschießen kann. Die hier arbeiten, sprechen derweil über das Kantinenessen, über Wochenendpläne und über den Stress. Ich beneide sie glühend um ihre langweiligen Themen.
    An einem der letzten Tage vor der geplanten Entlassung sagt mir eine Ärztin auf dem Flur, sie hätte da etwas Besonderes für uns arrangiert. Meine Mutter könnte in der Palliativstation einer Klinik einchecken. Dort würde man sich intensiv darum kümmern, dass sie nach der anstrengenden Bestrahlung wieder zu Kräften kommt. Ich bin gerührt. Auch noch, als ich meine auf der Palliativstation angelieferte Mutter in ihrem Erbrochenen liegend finde.
    Während wir ewig auf einen Arzt oder eine Schwester oder irgendjemand warten, der sich um meine Mutter kümmert, fragt sie: »Muss ich jetzt sterben!« »Wieso denkst du das?«, will ich wissen. »Hier sind doch nur Leute, die sterben müssen.« »Nein«, will ich sie beruhigen. »Das ist nicht richtig. Du bist hier, damit es dir bald wieder besser geht.« Aber das stimmt ja nicht. Sie ist hier, weil wieder mal niemand zugehört hat. Meine Mutter hat keine Schmerzen, gewöhnlich die Eintrittskarte für diese auf Schmerzlinderung bei unheilbar Kranken spezialisierte Station. Entsprechend ratlos ist auch die Ärztin, als sie endlich ins Zimmer kommt. »Keine Schmerzen? Weshalb sind Sie dann hier?« Ich erzähle, dass meine Mutter vor allem nachts sehr unruhig ist, kaum schläft. Sie sagt, man werde sich dann also darum kümmern. Am Nachmittag rufe ich in der Strahlenklinik an, um mich bei der netten Ärztin zu erkundigen, weshalb man meine Mutter eigentlich in eine Palliativstation überwiesen hat. Sie ist in Urlaub. Stattdessen antwortet ein Kollege. Man habe einfach sichergehen wollen, dass meine Mutter ihre Medikamente regelmäßig einnimmt. Ich frage: Wie man darauf kommt, dass wir zu Hause nicht dafür sorgen könnten? Seine Kollegin dachte, sagt der Arzt, der Pflegedienst käme nur drei Mal die Woche zu uns. »Drei mal am TAG !«, sage ich und dass wir das DEUTLICH zum Ausdruck gebracht hätten. Aber DEUTLICH ist in diesem Krankenhauskosmos ohnehin keine große Hilfe. Nirgends. »Schade, dass Ihre Mutter immer so appetitlos war!«, hatte uns die Essensverantwortliche in der Strahlenklinik verabschiedet. Nicht der letzte Nachweis, dass sich gerade die eifrigsten Gutmeiner oft als die größten Enttäuschungen entpuppen.
    Um 10 Uhr morgens waren meine Mutter und ich auf der Palliativstation angekommen. Ich blieb bis 13 Uhr bei ihr, bis mein Vater kam, um den Nachmittag bei meiner Mutter zu verbringen. Da mein Vater kein Handy hat, rufe ich nachmittags um halb vier noch einmal im Schwesternzimmer der Palliativstation an. Ich frage, ob meine Mutter mittlerweile etwas zu essen bekommen, ob mal jemand nach den Windeln geschaut hat? Nein, heißt es und dass es gerade sehr ungünstig sei. »Wir haben im Moment Übergabe!« Meine Mutter hat den ganzen Tag nichts in den Magen bekommen und liegt seit acht Uhr morgens in derselben Windel. Willkommen bei

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