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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kleis
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»Das tut mir aber jetzt echt leid – aber ich kann es auch nicht ändern.« Es geht nicht um die paar Euro, die das Bett kostet. (Obwohl das bei einer durchschnittlichen bundesdeutschen Rente von 1.094 (West) und 969 (Ost) nicht unwesentlich ist.) Es geht darum, wie einem alles unnötig verkompliziert wird. Ausgerechnet in einer Situation, in der man wie sonst nie auf kurze Wege, auf gebündelte Informationen, auf praktikable Lösungen, auf Menschen angewiesen ist, die ihr Mitgefühl eben nicht wie ein Pauschaltourist die Sonnenliegen am spanischen Hotel-Pool exklusiv für sich selbst reserviert haben. Es ist, als wäre man beim Untergang der »Costa Concordia« gerade im Begriff gewesen, sich die letzte Rettungsweste umzulegen, als der Herr von der Versicherung vorbeikommt, einem die Weste entreißt, einen Stapel Formulare in die Hand drückt und sagt: »Ich persönlich habe nichts gegen das Überleben, aber unsere Vorschriften, Sie verstehen. Bitte füllen Sie das hier erst mal aus und bedenken Sie, dass Ihre Anträge nicht vor Ablauf eines Monats bearbeitet werden können. Wir haben ja hier noch etwas anderes zu tun, als Sie vor dem Ertrinken zu retten.« Wäre man anfällig für das, was der amerikanische Historiker Richard Hofstadter als »paranoiden Stil« [86] der Welterklärung bezeichnete, man könnte Berechnung annehmen. Die Absicht, den Zugang zu legitimen Ansprüchen so zu erschweren, dass ein gewisser Prozentsatz der Antragsteller einfach schon auf halber Strecke erschöpft aufgibt oder sich unrettbar in dem Zuständigkeitsdickicht verirrt. Vielleicht liegt ja bei den Versicherungen ein dickes Dossier mit Kalkulationen, welch ordentliche Sümmchen sich auf diese Weise sparen lassen. Verrückt? Nicht verrückter als die Alternative: dass man sich überhaupt nichts dabei gedacht hat.
    Wir fragen uns oft: Wie schaffen das andere? Mit festen Arbeitszeiten? Ohne Computer daheim? Ohne Laptop für unterwegs? Ohne Handy und Internetzugang? Mehrmals erleben wir, wie vor allem Ältere die Aussicht, ihrem Ehepartner gleichzeitig eine Stütze zu sein und mal eben zu einer Pflegeverwaltungsfachkraft zu werden, in helle Panik versetzt. So der etwa 70-jährige Mann, dem man seine durch einen Schlaganfall halbseitig gelähmte Frau mit nach Hause gibt. Mit nichts weiter als ein paar Waschanleitungen und Hebegriffen, mit denen er sie in einen Rollstuhl bugsieren können soll. Wer aber sagt ihm, wie man einen Pflegeantrag stellt? Wohin dieser Pflegeantrag dann geschickt werden muss? Dass es besser ist, sich von verschiedenen Pflegediensten einen Kostenvoranschlag einzuholen (und dabei festzustellen, dass die sehr guten, die einem über Mundpropaganda empfohlen werden, fast alle ausgebucht sind)? Wie man aus einem stetig wachsenden Angebot an ›Hilfsmittelberatung‹ das herausfindet, das tatsächlich hilft, auch bei etwaigen Umbaumaßnahmen daheim? Wer hat schon eine behindertengerechte Nasszelle? Oder eine barrierefreie Wohnung? Dann der Papier-Tsunami, der über einen hereinbricht. Einen ganzen Ordner voller Unterlagen hat die Krankheit meiner Mutter hinterlassen. Gefüllt mit Entlassungspapieren, Arztbriefen, Überweisungen, dem »Beschluss über die Bestellung einer vorläufigen Betreuerin«, dem »Antrag nach Schwerbehindertenrecht – Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – ( SGB IX ) auf Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung (GdB) nach § 69 SGB IX und auf Ausstellung eines Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB   IX «, den »Schulungsunterlagen zur enteralen Ernährung« (»Drehen Sie die Spritze (mit Adapter) ab und verschließen Sie die Sonde am Sondenansatz«), dem »Selbstauskunftsbogen zur Vorlage beim MDK für die Feststellung der eingeschränkten Alltagskompetenz« und dem »Selbstauskunftsbogen zur Vorlage beim MDK für den grundpflegerischen Hilfebedarf«, dem »Merkblatt MRSA / ORSA für Patienten und Angehörige«, den »Hessischen Vergütungsrichtlinien für ambulante Pflegeleistungen ( SGB XI )«. Dazu Rechnungen, Lieferscheine, Zuzahlungsberechnungen und Jubel-Post. Für nahezu alles, was die Kasse erledigt, bekommt man einen Brief, in dem mit großer Geste das Selbstverständliche mit einem Enthusiasmus bestätigt wird, als hätte man dort eigens für uns die Sonne überredet, noch einmal aufzugehen: »Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir die Kosten für das oben genannte Hilfsmittel in Höhe von 69,61 EUR für Sie übernehmen können.«
    Es ist wie in dieser

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