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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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geflüstert als laut gesprochen. Inge Nowak hatte das dringende Bedürfnis, den Raum zu verlassen, etwas schnürte ihr die Kehle zu. Vielleicht die Vorstellung von den Überresten jener Frau, die am Vortag noch an ihrem Tisch gesessen und sie aus traurigen Augen angeschaut hatte.
    Ich muss wohl noch eine Weile hierbleiben.
    Sagte man so etwas am frühen Morgen, wenn man sich am späten Abend tötete?
    „Warte.“ Ellen hielt sie am Arm zurück.
    Inge versuchte sich auf die Mitte des Gesichts der jungen Frau zu konzentrieren, doch es gelang ihr nicht recht. Die Nase hielt nicht still.
    „Nicht jetzt. Später.“ Dann lief sie ohne ein weiteres Wort davon, vorbei an schiefen Wänden, kippenden Schränken, die fünf schwankenden Stufen nach oben zum Ausgang, durch eine beinahe querliegende Tür, mitten durch ein Blumenbeet, gegen einen Fahrradständer auf die weite helle Fläche zu, an deren Ende ein riesiges graues Handtuch ausgebreitet schien. Als sie spürte, wie sich feiner Sand in ihren Schuhen ansammelte, blieb sie stehen, folgte dem Impuls ihres Körpers, ließ sich auf die Knie und dann zur Seite fallen. Die Nadel ihres inneren Kompasses drehte durch. Über ihr musste ein Himmel sein und vor oder hinter ihr ein Meer. Sicher war nur, dass sie einmal mehr den Boden unter den Füßen verlor.
    Der Mensch wachte erst durch das Klingeln des Weckers auf, er hatte tief und fest geschlafen. Bevor er aufstand, ließ er die vorangegangene Nacht noch einmal Revue passieren. Alles war exakt nach Plan gelaufen. Fast zu perfekt, wie ihm schien: Ein-, zweimal hatte er über die Schulter zurückgeschaut, weil er befürchtete, verfolgt oder aufgehalten zu werden. Doch als die ersten Flammen seine Spuren verwischten, befand er sich bereits auf dem Weg nach Hause. Schon auf dem Waldparkplatz hatte er sich im Auto umgezogen, sich in lockerer Freizeitkleidung hinters Steuer gesetzt und war gemächlich zu seiner Wohnung gefahren. Es überraschte ihn, nach einer Weile bereits die Sirenen der Feuerwehr zu hören, doch es beunruhigte ihn nicht. Angela Esser könnte ihn nicht mehr verraten und alles, was von ihm an ihr hängengeblieben wäre, wäre längst versengt.
    Als käme er vom Joggen oder aus dem Fitnessstudio, trug er die Sporttasche mit all jenen Dingen ins Haus, die er am nächsten Tag verschwinden lassen müsste. Dann betrat er das Badezimmer, steckte sämtliche Kleider, die er auf dem Leib trug, in die Waschmaschine und duschte heiß und lange. Die Haare shampoonierte er sich zweimal, seine Hände seiften sanft seinen Körper ein. Alles, was an ihm klebte, verschwand mit dem leicht bräunlichen Wasser im Abfluss. Wie schnell man sich doch schmutzig machte, dachte er, und auch, dass er keinerlei Bedürfnis hatte, sich reinzuwaschen. Erst, als er sich abgetrocknet hatte, warf er einen flüchtigen Blick in den Spiegel, um sich davon zu überzeugen, dass er aussah wie immer.
    Am ersten Morgen als Mörder, nach einem ausgiebigen Frühstück mit Blick in den Garten, den er vielleicht noch umgraben, aber bald schon vermissen würde, bereitete er die nächste Tat vor. Respektvoll steckte er die Pistole in seine Aktentasche. Ein wenig nervös war er schon. Doch vielleicht verhielt es sich mit dem Töten wie mit jeder anderen Tätigkeit auch: Das zweite Mal geht immer leichter von der Hand.
    Inge Nowak sah nicht, wie Ellen Weyer hektisch ihr Gepäck in ihren grünen Polo packte. Auch nicht, dass sie sich danach eine Zigarette anzündete und trotz des milden Wetters fröstelnd und um sich schauend in Richtung des abgesperrten Raucherklubs ging. Das Feuer, die Hitze und schließlich die Wucht des Löschwassers hatten dem Platz etwas Geisterhaftes verliehen. Wäre die Journalistin mit den Gedanken nicht ganz woanders gewesen, hätte sie das Ganze unter dem Aspekt betrachtet, später eine Reportage für den Ostsee-Anzeiger zu schreiben. Doch dafür fehlte ihr der nötige Abstand.
    Die Zeitung samt Redaktion kannte Inge Nowak ebenso wenig wie die aus der Hansestadt im Fall Esser ermittelnden Kollegen. Sie hatte noch nie von Kriminalhauptkommissar Erich Werle aus Rostock gehört. Sein Umgangston hätte ihr sicher missfallen.
    „Bis spätestens heute Abend will ich wissen, ob der Schlamassel hier uns betrifft oder ob hier bloß eine durchgedreht ist. Vielleicht hat ja auch ein Verrückter den anderen umgebracht.“
    „Das sind keine Verrückten, das sind psychisch Labile“, widersprach ihm die Oberkommissarin an seiner Seite.
    „Sag ich

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