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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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die Gegebenheiten der Schnelllebigkeit anzupassen, und Katastrophen wegstecken würden, als ob es sich um Erkältungskrankheiten handelte. Ellen Weyer war geheilt und wieder einsatzbereit für die täglichen Herausforderungen, an denen Inge Nowak zuletzt kläglich gescheitert war. Nur deshalb konnte die Jüngere der Älteren eine solche Nachricht in ihrem Postfach hinterlassen und nur darum erschien die Aufforderung zu einem Telefonat Inge wie eine unlösbare Aufgabe. Überhaupt: Warum sollte sie eine wildfremde Frau anrufen, bloß, weil sie ihr noch etwas sagen wollte? Und was sollte das sein? Gute Ratschläge? Abschiedsfloskeln? Oder hatte es etwas mit dem Tod von Angela Esser zu tun?
    Gespenster, Nowak , völliger Blödsinn .
    Eine Patientin hatte sich umgebracht, noch dazu auf brutale Art und Weise, mehr gab es zu der Leiche nicht zu sagen, die inzwischen bereits auf die gerichtsmedizinische Sektion warten musste. Man würde ihren Körper öffnen und danach mehr oder weniger genau wissen, was geschehen wäre.
    Sie steckte den Zettel von Ellen Weyer zurück in den Umschlag, faltete ihn und schob ihn in die hintere Hosentasche. Dann ging sie die Treppen hinauf in ihr Zimmer. Dort würde sie in aller Ruhe ihren Behandlungsplan studieren, sich vorbereiten auf all das, was nun unweigerlich auf sie zukäme, wenn sich der Schock, der sich seit dem frühen Morgen in der Klinik ausgebreitet hatte, wieder gelegt haben würde. Und das, dachte die Hauptkommissarin beim Aufschließen der Zimmertür, würde schneller gehen, als manch einer dachte. Der Tod brach meist plötzlich und gewaltsam über Menschen herein und genauso schnell und entschieden versuchten ihn die meisten zu verdrängen. Selbst im Falle von Mord trauerten im Allgemeinen nur die nächsten Angehörigen länger als ein paar Tage, der Rest ging rasch wieder zur Tagesordnung über, als wäre nichts geschehen. Der Tod ist ein ungebetener Gast, der trotzdem bleibt, pflegte Berger zu sagen.
    „… sieht nach einem ziemlich dilettantischen Versuch aus, das Ganze nach Selbstmord aussehen zu lassen.“
    Inge Nowak ging näher zur gekippten Balkontür und spitzte die Ohren.
    „Am besten, du kommst gleich her, wir haben eine ganze Klinik voller Tatverdächtiger.“
    Draußen vor dem Eingang stand der Mann, den sie schon in der Frühe für einen Kriminalbeamten gehalten hatte. Er trug eine beigefarbene Jacke mit Lederbesatz an Kragen und Ärmeln, darunter ein kariertes Hemd in gedeckten Farben, eine braune Hose und robuste Schuhe. Schimanski-Verschnitt auf ostdeutsch, dachte Inge Nowak und schämte sich sofort ihres Gedankens. Bei dem Mangel an Polizeibeamten in dieser Region stammte der Kollege wahrscheinlich vom anderen Ende der Republik und war zudem sicher ein angenehmer Zeitgenosse. Vom Äußeren auf den Charakter zu schließen war leichtfertig und unangebracht. Und sich als Wessi aufzuspielen ohnehin peinlich.
    Inge Nowak sah, wie er sein Handy in der Jackeninnentasche verschwinden ließ und auf die Uhr schaute. Eine Geste, die sie für typisch männlich hielt. Ihr Kollege Frank Erkner machte es genauso: Als führte er eine Bewegung asiatischer Kampfkunst aus, ließ er den Arm zuerst nach vorne schnellen, um ihn gleich darauf am Ellbogen hart einzuknicken und zackig auf der Höhe der Augen in Richtung Oberkörper zu ziehen. Kurzer kritischer Blick, meist mit leicht nach oben gezogenen Augenbrauen, und der erhabene Moment der Vergewisserung von Zeit war vorüber. Entweder wussten Frauen immer, wie spät es war, oder sie schauten einfach unauffälliger nach.
    Also Mord. Denn um Totschlag konnte es sich bei einer Inszenierung von Selbstmord nicht handeln, zu viel Vorsatz.
    Ihr wurde schwindelig, sie musste sich setzen. Wieso konnte sie nicht einmal hier ihre Ruhe haben, warum musste die Gewalt sie bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit verfolgen? Inge Nowak schloss die Augen und lehnte sich in dem unförmigen Sessel zurück. In ihrer Hosentasche knisterte es. Noch zögerte sie. Doch insgeheim wusste sie bereits, dass sie es täte. Sie würde noch heute Ellen Weyer anrufen.
    „Ein Mord? In deiner Klinik?“
    „Wieso meine Klinik? Was kann ich denn dafür?“
    „Gar nichts natürlich. Ich meinte bloß …“
    „… dass Leichen meinen Weg pflastern?“
    Verónica antwortete nicht sofort, Inge hörte sie am anderen Ende schwer atmen.
    „Nein, das habe ich nicht gemeint,“ sagte sie schließlich. „Ich finde es nur einen blöden, unguten Zufall. Fang bloß nicht

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