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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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mit den Ärzten gesprochen und sich davon überzeugen lassen, dass seine Frau etwas durchmachte, was ihm wohl fremd, jedoch nicht unverständlich war: Eine Lebenskrise jenseits der Fünfzig, in der die Sinnfrage nicht wenige in tiefe Ängste und Melancholie stürzen konnte. Seine Sorge um sie war echt, und Jürgen Esser hatte aufrichtig versucht, Angela zu unterstützen, wo er konnte und so weit es seine Zeit erlaubte.
    Die Firma, die sein Vater aufgebaut und die er nach seinem Ingenieurstudium übernommen hatte, beanspruchte ihn beinahe rund um die Uhr, und auch wenn er seinen vierundzwanzig Mitarbeitern vertraute, so war er doch gerne selbst vor Ort. In den Wintermonaten war es einfacher, früher nach Hause zu kommen und Angela zum Essen oder zu einem Abendspaziergang unter Menschen zu locken. Auch wenn er nicht verstand, was in ihr vorging und weshalb sie so schwermütig war, obwohl ihm doch alles so schien, wie sie es sich immer gewünscht hatte, gab er sich größte Mühe, seinen Teil zu ihrer Genesung beizutragen. Dafür, dachte er, hatten sie schließlich geheiratet: in guten, wie in schlechten Zeiten. Und schließlich war Angela auch für ihn rund um die Uhr dagewesen, als er seinen Herzinfarkt erlitten hatte. Zu viel Stress und das familiäre Erbe hohen Blutdrucks hatten ihn eines Abends buchstäblich zu Boden gerissen, und nach der kolossalen Enge, die er in der Brust verspürt hatte, war er erst im Krankenhaus wieder zu sich gekommen. Er hatte es als Warnung verstanden und gespürt, wie sehr er an diesem Leben hing, an seinen Kindern, seiner Firma und vor allem an Angela. Nun war es an ihm, für sie dazusein.
    Etwa sechs Wochen, nachdem sie begonnen hatte, die Medikamente zu nehmen, die ihr der Hausarzt verschrieben hatte, wurde sie spürbar fröhlicher, und im Januar hatte er das Gefühl, dass sie schon fast wieder die Alte war. Sie ging zur Gymnastik, traf sich regelmäßig mit ihrer besten Freundin in der Stadt und zeigte auch an ihm wieder mehr Interesse. Als der Arzt ihr dann noch einen Klinikaufenthalt empfahl, damit sie wieder richtig auf den Damm käme, hatten beide gedacht, dass das Schlimmste überstanden sei, und willigten in die Einweisung ein.
    Danach war das Schlimmste erst passiert.
    Jetzt war Angela tot und er wurde verdächtigt, sie umgebracht zu haben. Er, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, der nicht einmal die Hand gegen seinen Sohn erhoben hatte, als der ihm den Mercedes zu Schrott gefahren hatte. Markus war immer ein schwieriger Junge gewesen und nie hatte Jürgen Esser die Nerven verloren. Er war ein Mann der Tat, doch er verabscheute jede Form von Gewalt.
    „Sie sind einfach ausgetickt. Das passiert jedem einmal. Wenn das Fass überläuft, kann sich keiner mehr beherrschen.“
    Der Kommissar aus Rostock konnte nicht wissen, dass der Mann ihm gegenüber sich erst seit ungefähr vierundzwanzig Stunden vorstellen konnte, wie sich Kontrollverlust anfühlte. Außer durch den Infarkt war er niemals zusammengebrochen, nie zuvor hatte er herumgeschrien oder in der Öffentlichkeit geweint. Aber er hatte auch nie zuvor einen solch tiefen Schmerz empfunden.
    „Ich habe meine Frau nicht getötet. Ich habe meine Frau geliebt.“
    „Was glauben Sie, wie viele Menschen aus Liebe töten?“
    „Kein einziger“, antwortete Esser müde. „Ich glaube, das geht nicht.“
    Er war erschöpft, hatte seit der Nachricht von ihrem Tod kein Auge mehr zugetan und wollte nur noch schlafen. Tief und lange genug, um aus diesem Albtraum endlich zu erwachen.
    „Herr Esser“, hob Werle zum dritten Mal an, „ich glaube wirklich, Sie sind sich des Ernstes der Lage nicht bewusst. Ihre Fingerabdrücke wurden am Tatort gefunden, auf dem Kanister, der aus Ihrem Auto stammt, und Sie haben für die Tatzeit kein Alibi.“
    „Ich habe Ihnen doch schon heute Morgen gesagt, dass jemand die Heckscheibe eingeschlagen hat und mir den Kanister und meine Gummistiefel gestohlen hat.“ Er schloss die Augen. „Aber es ist mir gleich, was Sie denken, und es ist mir auch egal, ob Sie mich einsperren oder nicht. Meine Frau ist tot. Das ist das Einzige, was mir bewusst ist. Und während Sie sich in die Idee hineinsteigern, dass ich sie umgebracht haben soll, läuft der Täter irgendwo da draußen frei herum.“ Er atmete tief durch. „Aber wissen Sie, auch das ist mir egal. Ich wünschte sogar, er würde mit mir das Gleiche tun.“
    „Was?“
    „Mich umbringen.“
    „Wie denn?“
    Jürgen Esser schaute Erich Werle

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