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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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orientieren, und sei es nur an einer flüchtigen Bekanntschaft inmitten von Fremden? Oder arbeitete in ihr doch die Kommissarin, die einen Fall witterte? Inge ließ sich die Liste der gewählten Rufnummern anzeigen und aktivierte die letzte neu. Wieder klickte es und wieder wurde die Anruferin darüber informiert, dass die Nummer zurzeit nicht erreichbar sei. Sie fand das untypisch. Eigentlich schätzte sie Menschen wie Ellen so ein, dass sie ununterbrochen erreichbar waren, ja, dass sie kontinuierlich dafür sorgten, über möglichst viele Kanäle erreichbar zu bleiben. Wahrscheinlich war der Akku leer, sie konnte ihr Aufladegerät nicht finden, hatte es im schlimmsten Fall bei ihrer Abreise in der Seerose vergessen. Schließlich war die junge Frau Hals über Kopf aufgebrochen und hatte sich nicht einmal mehr verabschiedet.
    In kurzen Abständen, im Grunde nach jeder Kreuzung, blickte die Berliner Hauptkommissarin unauffällig auf das Display ihres Mobiltelefons, um sicherzugehen, noch auf der richtigen Route zu sein. Nach etwa zehn Minuten stand sie schließlich vor einem dreistöckigen Backsteinbau, dessen Eingangstor offen stand und auf eine Art Industriehof führte. Sie schlenderte hindurch, und schon von Weitem war sie sicher, dass sie die Wohnung der Gesuchten gefunden hatte: Die Remise mit den zwei großen Fenstern, vor denen maßgeschneiderte Stahljalousien heruntergelassen waren, und die hölzerne Bank vor der efeuumrankten Mauer wiesen auf einen ausgesuchten Stil hin, den Inge auch an der Kleidung ihrer Tischnachbarin ausgemacht hatte. Und tatsächlich, an der Klingel stand Ellen Weyers Name und darunter: Journalistin. Offensichtlich war sie noch gar nicht zu Hause gewesen, denn der Briefkasten war länger nicht geleert worden. Es steckte eine Wochenzeitung in dem Schlitz, und Inge erspähte Briefe und Postwurfsendungen darin.
    „Wollen Sie zu Ellen?“ Die Stimme kam von einem älteren Mann, der am weit geöffneten Fenster der Erdgeschosswohnung gegenüber stand.
    „Ja. Scheint aber nicht da zu sein.“
    „Sollte aber. Hat mich versetzt, das Mädel. Wollte mich nach Mittag zum Doktor fahren. Meine Beine, wissen Sie? Machen nicht mehr so mit. Ist aber nicht gekommen. Ist gar nicht ihre Art.“ Er atmete schwer, als kostete ihn das Reden große Anstrengung. Dann schob er nach: „Das arme Ding ist ja selbst krank gewesen, der Kopf tut ihr immer so weh! Da war sie auf Kur.“ Jetzt erst musterte er sie wirklich. „Und Sie?“
    „Ich bin eine alte Freundin von Ellen. Ich dachte auch, sie kommt heute wieder.“ Alte Freundin, dachte sie, wie wahr, ich könnte ihre Mutter sein.
    „Soll ich ihr was ausrichten?“
    „Nein, vielen Dank. Ich rufe sie später an!“ Mit einem kurzen Nicken und leicht gehobener Hand zum Gruß verabschiedete sich Inge Nowak von dem Rentner und verließ den Hof.
    Die Hauptkommissarin hatte kein gutes Gefühl. Wäre sie im Dienst gewesen, hätte sie jetzt Erkner angerufen und Erkundigungen über Ellen Weyer eingeholt. Feststellen lassen, welcher Wagen auf sie zugelassen war und ob es einen Unfall gegeben hatte. Den Alten gefragt, wann sie das letzte Mal zu Hause gewesen war, ob sie die Wochenenden hier oder in der Klinik verbracht hatte, und überhaupt, was für ein Mensch sie war. Aber Inge Nowak war nicht im Dienst.
    Du willst dich bloß ablenken. Fremde Spuren verfolgen, weil dir die eigenen Angst machen.
    Sie trat hinaus ins Freie, den Rückweg an. Irgendein Friseur würde wohl heute noch Geld mit ihr verdienen müssen.
    Drei Tage zuvor noch hatte er sich für einen Mann gehalten, den das Leben zwar nicht immer auf Rosen gebettet, der aber nie mit seinem Schicksal gehadert hatte. Nach dreißig Jahren Ehe, die er zu keinem Zeitpunkt jemals in Frage stellte, war seine Frau erkrankt. Oder besser gesagt, sie hatte sich verändert. Zuerst war sie reizbarer geworden, dann war sie immer häufiger grundlos niedergeschlagen, und schließlich waren die Kopfschmerzen dazugekommen. Viel hatten sie nicht darüber gesprochen, wie sie nie viel miteinander redeten. Zwischen ihnen hatte eine stillschweigende Übereinkunft bestanden, Probleme möglichst schnell und sachlich zu lösen, ohne darum viel Worte zu machen. Und auch diesmal war er überzeugt gewesen, dass es sich bei Angelas Zustand um eine Art Schwäche handelte, die mit den richtigen Medikamenten und einer angemessenen Behandlung rasch zu beheben wäre. Er selbst hatte sie nach ihrem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus gebracht,

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