Sterben War Gestern
nickte wie ein Schuljunge, den man gerade gerügt hatte und der gelobte, von nun an alles besser zu machen. Nicht, dass der Ausblick, sich in eine – wie sein Großvater gesagt hätte – Klapsmühle einweisen zu lassen, für Ewald Klee besonders erfreulich gewesen wäre, aber der Gedanke löste keine Panik aus. Im Gegenteil. Er hatte etwas Befreiendes. Als dürfte er nach einer langen und beschwerlichen Reise endlich irgendwo ankommen.
„Was dagegen, wenn ich mich dir gegenübersetze?“
Ewald schreckte hoch. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, dass Inge an den Tisch gekommen war.
„Nein, klar, ich meine, setz dich doch einfach hin, wo du willst.“ Schnell schob er sein Wasserglas zur Seite, als störte es dort, wo es stand.
„Oje“, sagte Inge. „Geht’s dir so, wie du aussiehst?“ Im selben Moment tat ihr die Frage leid. Derlei Vertraulichkeiten tauschte man sicher nicht aus, wenn man sich gerade einmal einen Tag kannte. Aber Ewald schien sich daran nicht zu stören, sondern antwortete mit der gleichen Selbstverständlichkeit.
„In etwa.“ Dann betrachtete er sie genauer. „Und du? Geht’s dir auch so, wie du aussiehst?“
„Wie müsste es mir denn dann gehen?“, fragte sie zurück.
„Ausgesprochen gut. Frisch, irgendwie. Steht dir blendend.“
„Nein, so geht es mir nicht. Aber trotzdem danke. Bisschen ungewohnt. So kurz wollte ich sie eigentlich gar nicht, aber der Friseur war nicht zu halten.“ Sie setzte sich ihm gegenüber. „Hast du schon gegessen?“
Kopfschütteln.
„Soll ich was für uns beide holen?“
Er nickte dankbar.
„Spezielle Wünsche?“
„Die gibt’s nicht am Buffet.“
„Wenn es die gäbe, wäre jetzt auch sicher nichts mehr zu holen,“ erwiderte sie, legte ihren Zimmerschlüssel auf den Tisch und verschwand hinter der Trennwand, wo sie versuchte, eine ansprechende vegetarische Abendbrotvariation auf einen großen Teller zu bringen.
„Ist doch alles ziemlich eindeutig.“ Der Rostocker Kriminalhauptkommissar nippte an seinem Bier. Es war selten, dass er die Kollegin Eberstätter zu einem Feierabendtrunk in der Kneipe gegenüber überreden konnte. Sie hatte ein Kind, keinen Mann dazu und deshalb ein Betreuungsproblem. Doch gerade war der Kleine bei der Oma auf dem Land.
„Finden Sie?“
„Also: Der Ehemann fährt am Donnerstag um 14 Uhr in München los. Er kommt um 21.15 Uhr im Hotel Strandperle an. In der Zeit telefoniert er zweimal mit seiner Frau: einmal von unterwegs, ein zweites Mal, um zu sagen, dass er angekommen ist. Um 21.45 verlässt er zu Fuß sein Hotel und geht in Richtung Strand. Seiner Aussage nach vertritt er sich die Beine, holt sich an der Dönerbude etwas zu essen und kehrt gegen 22.15 Uhr ins Hotel zurück. Dort will er noch ein Bier getrunken und ferngesehen haben, bis er bei laufendem Gerät eingeschlafen sei.“ Werle nahm erneut sein Glas hoch, prostete ihr kurz zu, nahm einen kräftigen Schluck, was sie dazu nötigte, das Gleiche zu tun.
„Der türkische Imbissbetreiber kann sich an ihn erinnern, er sagt, einer der letzten Gäste an diesem Abend war ein großer, sehr deutsch aussehender Mann“, ergänzte sie die Erläuterungen ihres Chefs.
„Was glauben Sie, wie viele Männer der bei seiner Herkunft für groß und deutsch hält?“
Sylvia Eberstätter hielt diese Bemerkung für einigermaßen rassistisch und antwortete nicht.
„Ich glaube etwas anderes.“ Er machte eine spannungssteigernde Pause und sah sie erwartungsvoll an. Sie tat ihm den Gefallen und fragte nach.
„Was denn?“
„Er ist angekommen, hat seine Frau angerufen und sich mit ihr getroffen. Bis 22.00 Uhr haben die Kranken Ausgang.“
„Patienten“, bemerkte seine Kollegin.
„Ist doch dasselbe. Also jedenfalls dürfen die bis um zehn abends raus. Angela Esser, die mit Sicherheit schon gestiefelt und gespornt auf ihren Mann im Zimmer wartet, eilt zu ihm an den Strand. Dort entwickelt sich ein Streitgespräch, er erschlägt sie, sagen wir mit einem herumliegenden Ast, und weiß nicht, was er jetzt mit ihr machen soll. Dann fällt ihm der Raucherraum ein, den kennt er von seinen letzten Besuchen. Er bringt die Leiche dorthin, holt den Benzinkanister aus seinem Auto und fackelt sie samt der Hütte ab. Dann fährt er zurück, schlägt die Heckscheibe ein und lässt die Gummistiefel verschwinden, damit er später uns gegenüber behaupten kann, beides sei ihm gestohlen worden.“ Kriminalhauptkommissar Erich Werle war
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