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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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aus, um ihre Lage tatsächlich zu erfassen. Aber es drängte sie nach oben, sie musste aufstehen. Es kostete sie Kraft, sich an der kühlen Wand hochzutasten, ihre Beine zitterten und der Raum um sie herum schwankte gefährlich. Doch schließlich stand sie mit dem Rücken angelehnt einigermaßen aufrecht und legte den Kopf in den Nacken – da oben musste doch der Himmel sein.
    „Willst du mir ein Geheimnis verraten?“
    „Ja“, murmelte sie.
    „Denk an deinen Computer. Erinnerst du dich? Ein flaches, weißes Gerät, auf dem du so gerne schreibst.“
    Ellen Weyer lächelte versonnen und brummte etwas Unverständliches.
    „Und an der Seite steckt ein kleiner Stick. Darauf hast du wichtige Informationen gespeichert, nicht wahr?“
    Der Mensch hatte diese Information von Jens Wiskamp bekommen. Der Fotograf hatte behauptet, auch seine Freundin sei nicht mehr im Besitz des Datenträgers, sie habe ihn einem Anwalt geschickt, er wisse nicht, wem. Bis zum Schluss hatte er nicht begriffen, dass er mit dieser Information sein Todesurteil besiegelte.
    Bei dem Wort Computer und Stick hatte sich im vollkommen vernebelten Universum der Journalistin eine Tür aufgetan und sie sah sich in einem gelben Sommerkleid in einem sonnendurchfluteten Raum sitzen. Vor ihr eine Tastatur mit geschwungenen Buchstaben auf den Tasten.
    „Der Stick. Wo ist der Stick, Ellen?“
    Ihre Augen wanderten über die Buchstabenreihen, in der obersten las sie ganz rechts OPÜ und ganz links das Wort WERT. Und daneben, ja, da war er, ein silberner Stick mit einem blauen Band.
    „Da!“, sagte sie.
    „Hast du ihn gefunden? Sehr gut. Wo ist er?“
    „Links“, lallte sie grinsend. Und dann: „Trinken!“
    „Gleich bekommst du etwas zu trinken. Erst sagst du mir, wohin du den Stick gebracht hast. Vielleicht hast du ihn versteckt. Oder zur Post gebracht?“
    Bei dem Wort Post erschien ein großer gelber Briefkasten. Sie steckte etwas hinein und verschwand mitsamt dem Einwurf hinter dem Schlitz. In dem Kasten war es orangefarben-dämmrig und sie versank in den vielen Briefen, die um das Vielfache größer waren als sie selbst. Sie musste ihren eigenen wiederfinden, wenn sie nicht untergehen wollte.
    „Muss den Brief suchen.“ Sie sprach undeutlich, aber laut.
    „Genau, such den Brief. Du schaffst das. An wen ist er?“
    Sie konnte die Worte lesen, die auf den Umschlägen standen, aber sie verstand ihre Bedeutung nicht. Es waren fremde Zeichen, Sprachen, deren Klang sie sich nicht einmal vorstellen konnte. Die meisten der riesigen Briefe waren weiß, einige farbig und am Ende, in der Ecke stand ein etwas größerer in Braun. Braun war eine gute Farbe, es stach nicht so in den Augen. Sie ging darauf zu, wie auf eine Tür und tatsächlich wurde daraus ein Eingang, an dem eine Klingel ohne Namen angebracht war. Ellen Weyer betätigte den Knopf, und als ihr geöffnet wurde, war sie so erleichtert, dass sie der Person um den Hals fiel.
    „Lydia!“, rief sie.
    „Du hast den Brief mit dem Stick deiner Schwester geschickt?“ Der Mensch lächelte. „Das war sehr klug von dir, sie ist ja schließlich Anwältin.“
    Noch immer in der Umarmung ihrer großen Schwester versunken, nickte Ellen Weyer glücklich.
    Der Mensch, der getötet hatte, atmete auf. Er hatte es geschafft. An einer Schnur ließ er zwei Plastikflaschen hinab.
    „Hier, Ellen, trink das. Es wird dir schmecken. Danach hole ich dich zu mir.“
    Gierig griff Ellen nach dem, was von oben herab baumelte, es fiel ihr aus der Hand auf den Boden, als der Mensch oben die Schnur losließ. Ohne ihn weiter zu beachten, fiel sie auf die Knie, holte mit zittrigen Händen eine der beiden Flaschen heran, öffnete den vorsorglich nur leicht zugedrehten Verschluss und trank in großen Zügen. Es schmeckte fruchtig, nach Orange und Mango vielleicht, und sie konnte gar nicht genug davon bekommen.
    „Mach die Flasche wieder zu, wenn du fertig bist, sonst verschüttest du noch etwas.“
    Sie tat wie geheißen, und kurz danach versank sie bereits in tiefen Schlaf. Nachdem er einen Moment gewartet hatte und überzeugt war, dass sie ohne Bewusstsein war, stellte der Mensch die Leiter an, die sich normalerweise dort befand, zog sich Plastikschuhe über und kletterte nach unten. Vorsichtig und ohne den Toten oder sie zu berühren, sammelte er die Kerzenreste, die Tüte und die leere Plastikflasche auf und stieg wieder nach oben. Die Leiter zog er hoch und schloss die Luke. Für den Bruchteil einer Sekunde spielte er

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