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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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Baumgruppen ausmachen, ungestörte Versammlungen stummer Zeitzeugen. „Nun habe ich eine Unschuldige auf dem Gewissen. Und das“, sie fuhr sich mit der Hand über die müden Augen, „das stecken Sie nicht so schnell weg.“
    Sylvia Eberstätter blickte weiter geradeaus. „Wann war das denn?“
    „Vor einem halben Jahr. Und tun Sie mir einen Gefallen und erzählen Sie mir jetzt nicht, dass das zu unserem Beruf gehört oder dass jeder mal einen Fehler macht oder irgend so einen polizeipsychologischen Müll.“
    „Hatte ich nicht vor.“
    „Danke.“ Das Gespräch war ein wenig gekippt, was Inge Nowak leidtat. Sie nahm sich zusammen und versuchte zurückzufinden in weniger emotionale Gewässer „Und Sie? Sind Sie Kriminalbeamtin aus Leidenschaft?“
    „Ich glaube ja. Ich wollte immer schon zu den Guten gehören und die Bösen fangen. Aufpassen, retten, für Recht und Ordnung sorgen.“ Sie setzte den Blinker, was lautstarke Klopfgeräusche verursachte, und bog zu dem großen Parkplatz gegenüber der Klinik ab, auf dem Inge Nowak am Morgen versucht hatte, Ellen Weyer zu erreichen. „Und alleinreisende Frauen nachts sicher nach Hause bringen.“
    „Das finde ich äußerst lobenswert.“ Inge löste den Sicherheitsgurt. „Vielen Dank.“
    „Ich habe Ihnen zu danken. Passen Sie auf sich auf.“
    Als die Rücklichter des Wagens außer Sichtweite waren, zündete sich die Hauptkommissarin eine Zigarette an und holte ihr Handy aus der Tasche. Drei Kurznachrichten. Eine von Marit, eine von Berger, keine von Verónica. Die Freundin hatte sie nur einmal angerufen. Inge würde sich später bei ihr melden. Zuvor musste sie sich einmal mehr vergewissern, dass Ellen Weyer immer noch nicht erreichbar war, obwohl sie wusste, dass sie längst eine SMS hätte bekommen müssen, wenn die Angerufene ihr Telefon eingeschaltet hätte.
    Der Mensch, der getötet hatte, trug ein Frauengesicht. Pausbäckig, runde Augen, rötlich gepuderte Wangen und einen kleinen rot geschminkten Mund. Hinter den schwarzen Löchern blitzten zwei dunkle Pupillen. Es war eine Maske, wie sie auf traditionellen Fastnachtsumzügen im Süden der Republik häufig zu sehen war. Die Haare des Menschen waren unter einer schwarzen lockigen Perücke versteckt, die ihn als puppenartiges Wesen erscheinen ließ. Er hatte sich einen dunklen Trainingsanzug und schwarze Socken übergezogen, sodass sein Körper schlank und unauffällig anmutete. Zudem trug er schwarze Handschuhe. Wäre er hinausgegangen in den Wald, man hätte ihn für ein Fabelwesen, einen weiblichen Dämon oder eine seltsame Hexe gehalten. Sein starrer Gesichtsausdruck war von einer eisigen Freundlichkeit, die jedem spätabendlichen Wanderer das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen.
    Als er den Abspielknopf des CD-Players betätigte und die Luke öffnete, bot sich ihm ein kümmerliches Bild: zwei reglose Körper in unnatürlicher Haltung auf dem Boden. War sie tot? Hatte er ihr zu viel verabreicht? Neben ihr lag die leere Flasche, die Tüte war offenbar leer.
    Als die ersten Klänge von Mahlers Sinfonie ertönten, regte sie sich. Sie machte einen erbärmlichen Eindruck, wie sie versuchte, sich aufzurichten, die Augen noch halb geschlossen, kraftlos und verlangsamt, wie Heroinabhängige nach einem Schuss. Schließlich schaffte sie es, den Blick nach oben zu richten, und verharrte einen Augenblick. Ellens Gehirn funktionierte in Zeitlupe, sie brauchte einige Sekunden, bis sie begriff, was sie sah. Die Musik verklang allmählich.
    „Hallo, Ellen!“, sagte die Kreatur über ihr mit durchdringender Stimme.
    „Hallo.“ Sie hob den Arm, wie zum Gruß, doch er fiel schlaff an ihr herunter, als gehörte er nicht zu ihr. Ellen. War das ihr Name?
    „Hast du Durst?“
    Sie nickte und fuhr sich mit dem schmutzigen Handrücken über die trockenen Lippen. Überhaupt war sie dreckig, die feuchte Erde hatte an Haut und Kleidung braune, schmierige Spuren hinterlassen.
    „Ist dir kalt?“
    Sie nickte wieder.
    „Möchtest du da raus?“
    Und wieder nickte sie nur, wie ein kleines verängstigtes Kind, das nicht wusste, was mit ihm geschah. Dabei kicherte sie, als amüsierte sie sich über sich selbst.
    „Dann musst du mir ein Geheimnis verraten.“
    Ellen Weyer hörte die Stimme wie von fern und was sie da oben sah, war verschwommen und hatte kaum feste Konturen. Es musste die Rettung sein, eine Heilige, vielleicht Gott. Ihr neuronales System versorgte sie mit gedanklichen Versatzstücken, sie reichten nicht

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